Neukaledonien lässt grüßen: Paris feiert den Südwestpazifik
Das Musée du Quai Branly zeigt die Bedeutung der Kanak-Kultur.
Paris. Was trennt Paris von Neukaledonien? Eine Distanz von mehr als 16 600 Kilometern. Und was verbindet die Seine mit dem Südwestpazifik? Eine Ausstellung mit 300 Exponaten. Das ist natürlich überspitzt formuliert, trifft aber den Kern der künstlerischen Angelegenheit: Auf den ersten Blick haben Frankreich und Neukaledonien in etwa so viel gemeinsam wie das Bergische Land und Alaska. Beim näheren Hinsehen zeigen sich allerdings verlockende Verbindungslinien.
Wer die Inselgruppe kennenlernen möchte, von der die wenigsten auf Anhieb wissen würften, wo genau sie eigentlich auf der Landkarte zu finden ist, muss nicht gleich ans andere Ende der Welt - Richtung Australien - fliegen. Ein Zwischenstopp in Paris tut es auch. Denn dort, im Musée du Quai Branly, wirbt ein Superlativ um Aufmerksamkeit - er lockt zwar nicht an einsame Sandstrände, wie sie in Neukaledonien zu erleben sind, dafür aber in Ausstellungsräume mit gedämmtem, atmosphärischem Licht.
Denn die Sonderschau, die bis zum 26. Januar 2014 bewundert werden kann, gilt als die bedeutendste Ausstellung über die Kanak-Kultur der vergangenen 20 Jahre - versammelt sie doch mehr als 300 außergewöhnliche Werke und Dokumente aus öffentlichen Sammlungen Neukaledoniens und Europas. Die Objekte sind aus 20 Museen angereist - aus Österrreich, Schweiz, Frankreich, Deutschland und Italien.
Dabei lässt schon der Titel aufhorchen, schließlich wird "Kanake" in deutschen Breitengraden eher als Beleidigung empfunden denn als Kultursiegel. Tatsächlich bezeichnet das Wort die Ureinwohner Neukaledoniens. Und um sie, ihre 28 Sprachen und elf Dialekte geht es. Auf gut Deutsch gesagt: Die Ausstellung zeigt, welchen Halt Traditionen geben können und wie einzelne Gruppen ihre eigenen Bräuche - nicht zuletzt ihren eigenen Dialekt - pflegen.
Zu den spektakulärsten Stücken gehören klassische Werke aus der Welt der Kanak-Kunst: geschnitzte Türstöcke der großen Häuser, Zeremonialäxte aus Jade, Dachfirstskulpturen, Statuetten und vielfältigste Verzierungen. Da die Erläuterungen an den Schaukästen und Objekten mitunter nur spärlich gesät sind, sprechen die Objekte zunächst für sich. Videoeinspielungen helfen dem Verständnis allerdings auf die Sprünge: Es sind die Kanaken selbst, die dem Besucher ihre Welt und ihre Sichtweise verständlich machen.
So erschließt sich auch die Bedeutung bunter Tücher. Wer die ausgelegten Stoffe mustert, sollte wissen, dass die farbenfrohen Tücher das Ende einer Trauerphase markieren: Ein Jahr nach dem Tod eines geliebten Menschen treffen sich Freunde und Angehörige, um Stoffbahnen auszulegen. Jedes Tuch hat ein andere Farbgebung. Doch egal, ob Grün, Rot oder Blau: Jeder Stoff symbolisiert, dass man loslassen und gleichzeitig an Erinnerungen festhalten kann. So liegen dann mehrere Lagen übereinander - als kunterbuntes Bild der Hoffnung, des Respekts und des Neubeginns.
Wer jedoch allein Fremdländisches wie Totenmasken und Ornamente erwartet, die im 19. Jahrhundert Häuser zierten, irrt sich gewaltig. Als Kontrast zur Kultur der Kanaken wird auch der Blick auf den europäischen Standpunkt gelenkt: Zeichnungen und Zeitungsartikel offenbaren die Sicht der Franzosen, die nicht immer frei von Klischees war. Auch das ermöglicht die Ausstellung: Blickwinkel werden vertauscht, Frankreich und Neukaledonien kommen sich kulturell näher. Schnell zeigt sich, was die beiden Welten trennt - und was Seine und Südwestpazifik dann doch verbindet.
Die Atmosphäre könnte jedenfalls kaum treffender sein: Mit leiser Flötenmusik, sachten Trommeltönen und - für deutsche wie französische Ohren - ungewöhnlichen Stammesgesängen lässt die Inselgruppe auch akustisch grüßen. So ist der Rundgang durch das Pariser Museum eine kleine Reise durch eine faszinierend fremde Welt.