Packen für Berlin: Anish Kapoor bei der Arbeit
London (dpa) - Eine alte Lagerhalle mit leicht angerosteten Rolltoren, versteckt in einer Seitenstraße im Süden von London. Drumherum Sozialwohnungsbauten, an der Ecke eine kleine Post, ein Kiosk, gegenüber wird eine Schule gebaut.
Von außen könnten die Backsteingebäude kaum unscheinbarer aussehen, doch öffnen sich die Türen, dann glitzert und glänzt es, und Kunstwerke mit Millionenwert kommen zum Vorschein. Mitten in einer typischen Londoner Kulisse, nur wenige U-Bahn-Stationen vom Zentrum weg, versteckt sich das Atelier von Anish Kapoor.
Derzeit gibt der Künstler, der zu den gefeiertsten Bildhauern weltweit gehört, den Arbeiten für seine große Ausstellung im Martin-Gropius-Bau in Berlin den letzten Schliff. Sie beginnt am 18. Mai, dauert bis zum 24. November und ist nach Angaben der Macher die erste umfassende Kapoor-Schau in Berlin überhaupt. Im größeren Rahmen war der britisch-indische Künstler bislang in München im Haus der Kunst zu sehen.
„Die vergangenen Monate waren voll von den Vorbereitungen auf diese Schau“, sagt Kapoor. In Berlin und im Gropius-Bau auszustellen, das sei eine Herausforderung. „Das Ganze muss Teil des historischen Kontextes sein.“ Rund die Hälfte der etwa 70 Arbeiten für Berlin hat Kapoor eigens neu gemacht. Außerdem wird es einen Überblick über seine Skulpturen, Objekte und Installationen von 1988 bis heute geben.
Berühmt ist er vor allem für seine Vielfalt: Seine die Realität auf den Kopf stellenden Spiegelobjekte, seine dem Organischen verschriebenen Werke aus Kunstharz oder puren Pigmenten und seine monumentalen Skulpturen für den öffentlichen Raum. In Berlin sollen sich alle diese Seiten Kapoors wiederfinden.
Eines der spektakulären Spiegel-Elemente Kapoors liegt schon fast fertig verpackt in der Halle, ein anderes wird noch ausgiebig poliert. Nebenan arbeiten drei Helfer in weißen Schutzanzügen an einer riesigen Skulptur aus Styropor und blutrotem Kunstharz. Sie erinnert an menschliches Fleisch und steht in ihrer Brutalität den glänzenden, subtil scheinenden Spiegelflächen diametral gegenüber.
Seit mehr als 20 Jahren ist Kapoor in dem Atelier im Süden Londons zu Hause, seit gut 25 Jahren beschäftigt er Assistenten. Derzeit sind es rund 20 Leute. Sie schleifen und streichen, höhlen aus und setzen auf - während Kapoor über allem als Meister wacht. Entspannt und freundlich führt er durch sein Reich - hier ist ein Künstler, aber auch Handwerker, Unternehmer, Logistiker und Medienprofi am Werk. Geduldig beantwortet er Fragen, posiert für Bilder, und strahlt dabei irgendwie Zufriedenheit aus. Ob er auch manchmal böse werde, wird er gefragt, und sagt ziemlich bestimmt: „Oh ja, das werde ich.“ Er sei ein Autokrat, der es nicht leiden könne, wenn jemand ihm sage, was er tun soll.
Zufrieden kann Kapoor wirklich sein, denn er hat sich nicht nur internationale Anerkennung sondern auch Vermögen erarbeitet. Mit seiner Familie lebt er in London und hat dort zuletzt unter anderem mit dem „Orbit“-Aussichtsturm im Olympischen Park seine Spuren hinterlassen. Seine Auftragsbücher für Kunst im öffentlichen Raum dürften voll sein, von Publikum und Kritikern wird er geliebt.
Geboren wurde der Künstler am 12. März 1954 im indischen Mumbai, sein Vater war Inder, seine Mutter entstammte einer jüdischen Familie aus dem Irak. 1971 ging er nach Israel, 1973 zog er weiter nach Großbritannien. Hier absolvierte er sein Kunststudium. 1991 gewann Kapoor den renommierten Turner-Preis, und spätestens seitdem ist seine Karriere in seiner Heimat und Schritt für Schritt darüber hinaus in vollem Gange.
Bei aller Organisation, die hinter dem Management seines Kunstbetriebs steht, sei seine Arbeit aber doch vor allem ein „undisziplinierter Prozess“, sagt Kapoor. „Die Frage ist dabei nicht: Weiß ich, was ich tue? Sondern: Weiß ich nicht, was ich da tue?“