Wilhelm Sasnal - Flüchtiger Blick auf das Unheil
Die erste große Retrospektive des polnischen Malerstars Wilhelm Sasnal in K21.
Düsseldorf. Fast genau zum 70. Jahrestag des Nazi-Angriffs auf Polen zeigt Julian Heynen in K21 einen der wichtigsten polnischen Maler der Gegenwart, Wilhelm Sasnal, in einer ersten umfassenden Retrospektive. Sasnals scheinbar beiläufige Malerei ist voller politischer und sozialkritischer Doppeldeutigkeiten.
Der 37-Jährige mit dem deutschen Vornamen ist ein Künstler der Wende, der die Ablösung des real existierenden Sozialismus der 80er Jahre und den Vormarsch des Kapitalismus nach 1989 erlebte. Seine Kunst lehnt sich in bewusst einfacher Manier an populäre Bildsprachen an. Gleichzeitig hat sich sein Blick für die latenten Gefahren geschärft, die seine Generation auch 20 Jahre nach Ende des Kalten Krieges noch fürchtet.
Die 65 Bilder werden bewusst in einem harten Licht präsentiert. Das wird in seiner angebrannten Lieblingsjacke auf einem Collage-Bild wie im fast abstrakten, rot-flimmernden "Augenlid" deutlich, das sich auf der Leinwand wie ein lieblicher Feuerball ausdehnt.
Sasnals Blick auf Dinge und Menschen ist flüchtig und filmisch. Wenn er die Figur des Künstlers Robert Smithson nach einem Foto malt, so spürt er den Körper in der Untersicht auf und schneidet das Gesicht ab. Alles zieht an seinem Auge nur in Fragmenten vorüber. "1948" nennt er ein kleinformatiges Motiv.
Es erinnert an ein Setting von Ilya Kabakov: Ein aufgeräumtes Zimmer voller Einsamkeit, mit frisch gemachtem Bett und Geschirrtuch-Halter. Er habe dabei an das karge Milieu in der Stube van Goghs gedacht, sagt er im Gespräch. Die Farbe hat er mit den fünf Fingern aufgetragen und mit dem Pinsel geschoben. Ein Bild des Abwesenden.
50 Kilometer von Sasnals Wohnort Krakau entfernt liegt Auschwitz, der Holocaust gehört zu seinem Leben. Das wird an dem Bild "Maus" (2001) deutlich, frei nach der Comic-Ästhetik von Art Spiegelmann.
Wo der berühmte Comic-Künstler eine Maus gesetzt hätte, ist bei Sasnal ein schwarzes Loch wie eine dunkle Blutlache übriggeblieben. Im Comic sind die Nazis die Katzen, die Polen die Schweine und die Juden die Mäuse.
Der "Shoah"-Film von Claude Lanzmann für die BBC, ein neunstündiges Epos zu KZ-Stätten und zu Erinnerungen der Überlebenden, wird von Sasnal in einen brillant geführten, grünen Pinselstrich verwandelt. Was man sieht, ist ein abstrahierter Wald, der längst über die Stätten des Grauen gewachsen ist.
Wie Staffagen wirken die Figuren im Vordergrund - unter ihnen ist auch ein Kameramann Lanzmanns. Sehr indirekt, bloß über den Titel, leitet der Künstler von der Schönheit des Bildes zum Horror des Inhalts.
Täglich radele Sasnal, wie er sagt, am "Wanda Hügel" vorbei, den er zweimal als Bildmotiv benutzt. Wanda repräsentiert den Geburtsmythos von Krakau, denn die Königstochter siegte gegen den Drachen und bewahrte die Stadt vor den Aggressoren.
Wandas Hügel ist eine Pilgerstätte, mit einer Adler-Skulptur als Hoheitszeichen. Sasnal zeigt den weißen Stein im Gegenlicht vor einem blaugrauen Abendhimmel.
Im Hintergrund lässt er die Schlote einer aufgegebenen Stahlfabrik aus kommunistischer Zeit und die grellen Scheinwerfer eines modernen Autos auftauchen. Ein Pendant zeigt Wandas Hügel bei Tag. In beiden Fällen pinselt Sasnal die Landschaft, als ahme er den sozialistischen Realismus eines Kinoplakats nach.
Sasnal ist ein Künstler der Brüche. Er hatte "Threads" gesehen, einen Fernsehfilm der BBC zu den dokumentarischen und fiktiven Alpträumen eines Atomkriegs. Entstanden ist ein Diptychon. Es zeigt den Atompilz einerseits wie eine übergroße Kaugummi-Blase, andererseits wie einen spießigen Oma-Hut.
Sein jüngstes Bild (siehe Foto) enthält eine trügerische Idylle: Seine Frau Anka und sein Sohn Kacper spiegeln sich in einer Riesenpfütze. Die Wasseroberfläche zeigt einen eisblauen Himmel und wirkt wie eine dünne Eisscholle, die gleich brechen wird.