Archäologie: Ein sensationeller Fund
Forscher sind überglücklich: Sie bergen einen sehr gut erhaltenen Bronze-Pferdekopf.
Gießen. Beim Anblick des lebensgroßen Pferdekopfs der vergoldeten römischen Reiterstatue von Kaiser Augustus überschlagen sich die Fachleute.
Von einem "einzigartigen Fund in Europa mit Weltrang" ist die Rede. Die nur wenige Tage alte archäologische Entdeckung aus Hessen sei auf einer Stufe mit der Himmelsscheibe von Nebra und den Keltenfürsten vom Glauberg zu sehen.
"Diese Bronzeskulptur gehört qualitativ zu den besten Stücken, die jemals auf dem Gebiet des ehemaligen Römischen Reichs gefunden wurden", sagte Hessens Wissenschaftsministerin Eva Kühne-Hörmann bei der Vorstellung am Donnerstag in Frankfurt.
Seit 1993 graben Archäologen auf dem rund 7,5 Hektar großen Gelände der römischen Stadtanlage Waldgirmes und haben dabei Erkenntnisse über die Politik und das Alltagsleben gewonnen.
Immer wieder förderten sie auch Bruchstücke des lebensgroßen Reiterstandbildes zutage, das wohl Kaiser Augustus darstellt, der von 23 vor bis 14 nach Christus regierte, darunter einen Pferdfuß und einen verzierten Brustgurt des Tiers. Mehr als 100 Teile sollen es insgesamt sein.
Auf dem Boden eines freigelegten Holzbrunnens machen die Archäologen in elf Metern Tiefe am 12. August den Sensationsfund, den es laut Wissenschaftsministerin "in dieser Form und Qualität nirgendwo gibt". Wenige Tage zuvor hatten die Fachleute bereits den Fuß des Reiters des Standbildes zutage gefördert.
Der filigran gearbeitete Pferdekopf ist vollständig erhalten, mit Nüstern, Zähnen, Auge und Resten der Goldauflage. Das mit sechs Zierscheiben reich geschmückte Zaumzeug ist auch noch gut zu sehen.
An der Stirn findet sich eine Platte mit dem Kriegsgott Mars, an den Seiten Siegesgöttinnen. "Götter, die für den siegreichen Staat stehen", deutet Landesarchäologe Prof. Egon Schallmayer die Aussage.
Von der zivilen Siedlung Waldgirmes aus, die kurz vor der Zeitenwende begonnen wurde und mit dem Rückzug der Römer endete, sollte eine neue Provinz des Römischen Reiches verwaltet werden, wie die Fachleute berichten.
Die Fundlage des Reiterbildes biete die "einzigartige Möglichkeit", es auf wenige Jahre genau zu datieren. Dies lasse Erkenntnisse über die Ereignisse im Umfeld der Varus-Schlacht zu, die sich gerade zum 2000. Mal jährte. In der "Schlacht im Teutoburger Wald" hatten im Jahr 9 germanische Krieger eine ganze römische Armee aufgerieben.
Nicht die sich zurückziehenden Römer, sondern die Germanen haben vermutlich das Reiterstandbild zerstört und den Kopf im Brunnen versenkt.
"Eine solche Statue war in der Antike ein Sinnbild dafür, dass der Kaiser selbst anwesend ist", so Schallmayer. Die Germanen hätten den Kopf rituell im Brunnen versenkt, um eigene Götter zu besänftigen, ergänzte Friedrich Lüth von der Römisch-GermanischenKommission in Frankfurt.
Der Lagerung im Wasser ist es zu verdanken, dass der Bronzekopf so gut erhalten ist. Die Archäologen haben sieben Eimer mit Aushub aus dem Brunnen ans Licht befördert und hoffen nun, darin noch mehr Teile des Reiterstandbilds zu finden, dessen künstlerische Qualität auch von hoher Bedeutung ist.
"Es gehört zu dem Besten, was in dieser Zeit geschaffen wurde", sagte Schallmayer. Die Statue wurde den Erkenntnissen zufolge von den bedeutendsten Künstlern im Römischen Reich geschaffen. Die Steine für den Sockel kamen von weit her: Der Muschelkalkquader stammt aus der Umgebung von Metz in Lothringen.
Die Restaurierung des Sensationsfundes in der Werkstatt der Hessischen Landesarchäologie werde zwei Jahre dauern. Anschließend soll der Kopf bei einer Sonderausstellung an einem zentralen Ort in Hessen vorgestellt werden, kündigte Kühne-Hörmann an.
Die Gemeinde Lahnau wünscht sich an ihrer Ausgrabungsstelle einige Fototafeln, um auf den bedeutenden Fund aufmerksam zu machen. Mittelfristig würden die Stadtväter gerne einen Museumspark "Römische Stadt an der mittleren Lahn" errichten. Eine Machbarkeitsstudie gibt es schon, allerdings: Das Geld fehlt.