Mit Haltung gegen Hassrede

Die Journalistin Hilal Sezgin und der Kommunikationsstratege Hannes Ley im Gespräch mit WDR-Mann Jochen Rausch.

Foto: Anna Schwartz

Wuppertal. Kurz vor Ende der Veranstaltung fasst Moderator Jochen Rausch das Gespräch in einem ernüchternden Fazit zusammen: „Wenn man uns so zuhört, könnte man zu der Auffassung kommen, es wäre besser, das Internet wieder abzuschalten.“ Ist das so? „Würden sich mehr Leute einsetzen, sähe das Netz anders aus“, kontert der Kommunikationsstratege Hannes Ley, der genau das tut.

Der Hamburger ist Kopf und Gründer einer Facebook-Gruppe, die unter dem Namen „#ichbinhier“ im asozialsten der angeblich Sozialen Netzwerke mit 37 000 Unterstützern versucht, die Kommentar-Hoheit zu übernehmen, wenn wieder einmal Pöbeleien und „Hate Speech“ echte Diskussionen verhindern und ihr destruktives Gift verbreiten. „Es wird zu wenig gegen Hassschreiber vorgegangen“, findet Ley, der die Desinformations-Kampagnen im Internet inzwischen als Gefahr für die Demokratie betrachtet.

Da ist es ebenso überraschend wie wohltuend, dass die Frankfurter Journalistin und Philosophin Hilal Sezgin gleich zu Beginn der Veranstaltung im Rahmen der vierten Wuppertaler Literatur Biennale darauf hinweist, was eigentlich viel natürlicher (wenn auch nicht unproblematischer) als die ständige Hassrederei ist — nämlich nichts zu sagen.

Anhand des Beispiels von zwei Bundeswehrsoldaten, die allen Mitreisenden die Zugfahrt mit lautstark sexistischen, frauenverachtenden Erzählungen vergällen, das sie selbst erst gegen Ende der Fahrt völlig entnervt kommentiert, macht Sezgin deutlich, was das eigentliche Problem beim „Haltung zeigen“ (Titel der zweistündigen Diskussions-Lesung) ist: „Man will etwas nicht als Erster tun.“

Das wäre noch (vergleichsweise) einfach zu lösen, doch Hilal Sezgin konstatiert auch, dass normale Gespräche und Diskussionen im Netz kaum noch möglich sind: „Öffentliche Diskurse sind nur noch strategisch angelegt und vermint. Man kann nicht mehr offen sprechen und muss sich ständig überlegen: Mit welchem Argument streitet man nun auf wessen Kosten?“

Eigentlich müsse man den Hang zur Nach-Außen-Verlagerung und Abwälzung zurückdrehen, wie sie am Beispiel der Krisen-Migration verdeutlicht: „Flüchtlinge werden als Verursacher einer Krise wahrgenommen, dabei fliehen sie vor einer. Wir müssen diese Externalisierungen rückgängig machen.“ Doch wie soll das gelingen? Hannes Ley sieht im wesentlichen zwei Gründe, warum der Hass, der immer schon da gewesen sei und den man lediglich nicht stehen lassen dürfe, die Diskussionen vergifte und nun beginne, die Demokratie zu bedrohen: „Es begann mit Glaubens-Kriegen um das richtige Betriebssystem in Technik-Foren um das Jahr 2000 herum. Vielleicht wäre damals noch zu verhindern gewesen, dass dieses Verhalten auf die politischen Diskussionen übergreift. Aber im Netz sieht und hört man sein Gegenüber nicht. Und die vermeintliche Anonymität gibt ein Gefühl von Sicherheit und Straflosigkeit.“

Ob es in der Hass-Umgebung des Netzes nicht eigentlich anachronistisch sei, wenn sein Sender bestimmte Inhalte zwischen 5 und 22 Uhr aus Jugendschutzgründen nicht ins Netz stelle, fragte sich Moderator Rausch, immerhin Vize-Radiodirektor des WDR. Jemand aus dem Publikum widersprach: Das sei doch eine Errungenschaft. Haltung eben.