30 Jahre Punk in Deutschland

Berlin (dpa) - Ob die kreisenden Hüften von Elvis Presley oder Mick Jaggers herausgestreckte Zunge: Große musikalische Epochen beginnen oft mit Skandalen. Anfang der 1980er Jahre traten plötzlich schräge Typen mit gefärbten Haaren und Nietenlederjacken auf und schockierten die bürgerliche Gesellschaft.

Mit rauer Rockmusik und viel Dosenbier kreischten sie gegen Staat, Polizei und andere Autoritäten an: Punk war geboren. Musikalisches Markenzeichen: Drei Akkorde und Viervierteltakt, musikalisches Talent unwichtig. Seine Anfänge hat Punkrock in England. Die Sex Pistols und The Clash („London Calling“) feierten schon Mitte/Ende der 70er Jahre ihren Durchbruch. Hierzulande sind es vor allem die Toten Hosen und die Ärzte, die für dieses zumindest anfangs sehr rebellische Musikgenre stehen. Beide Bands formierten sich 1982 und verkauften später Millionen von Platten.

Die Pionierarbeit im deutschen Punkrock leisteten aber andere Bands. Slime aus Hamburg zum Beispiel, die schon 1979 im Musikzimmer eines Gymnasiums die ersten Gitarrenriffs probten. Singen konnte zwar keiner der Jungs so richtig, für Furore sorgten die Songs von Slime trotzdem. „Bullenschweine“ von 1980 etwa, der zur Gewalt gegen Polizisten aufruft und auf dem Index steht. Heute würde Slime wohl anders texten, für einen alternativen Lebensentwurf zur Norm steht die Band aber immer noch. Als eine der einflussreichsten deutschen Punkrocker haben die Hamburger manche Gruppe auch anderer musikalischer Richtung geprägt.

„Man kann gar nicht unterschätzen, wie sehr Punkrock die Musikwelt verändert hat“, sagt Oliver Uschmann, Redakteur beim Musikmagazin „Visions“. Grundhaltung der Punkbewegung sei von Anfang an gewesen: Jeder kann zum Instrument greifen und „auf die Pauke hauen“.

Ohne diese Attitüde wäre etwa das Musikphänomen „Grunge“ um Nirvana, Kultband der neunziger Jahre, nie denkbar gewesen, meint Uschmann. Nach ihrem Durchbruch war die US-amerikanische Gruppe („Smells Like Teen Spirit“) zwar kommerziell sehr erfolgreich - gerade Sänger Kurt Kobain demonstrierte aber immer wieder seinen Hass auf die Strukturen der weich gespülten Pop- und Kulturindustrie.

„Ist das noch Punk“ - mit dieser Frage werden dieser Tage auch die Ärzte und die Toten Hosen konfrontiert. Beide Bands sind im Jubiläumsjahr 2012 auf Tour und füllen mit ihren Charthits Fußballstadien und große Hallen. Klar, schockiert ist da keiner mehr, die Songs trällern genau die bürgerlichen Leuten mit, die Punk immer aufs Korn nahm. Andererseits, die künstlerische Freiheit, die sich gerade die Ärzte bis heute herausnehmen und immer wieder etwas anderes machen. Diese „Geisteshaltung“ sei eindeutig Punk, meint Musikexperte Uschmann.

Auch vermeintlich weniger talentierte Musiker dürfen sich also in Zukunft ermutigt fühlen: einfach ein Instrument in die Hand nehmen und loslegen. Oder, wie es modern ist, daheim den Computer anschalten und elektronische Töne erzeugen. Ganz ohne Proberaum. Auch wenn sich das Ergebnis dann Electropunk, Techno oder sonst wie nennt: „Musikalisch wird Punk so immer weiterleben“, sagt Uschmann.