„Ah, Christine!“: Das Opern-Phantom ist zurück

Hamburg (dpa) - Als das „Phantom der Oper“ in Deutschland antrat, flogen Farbbeutel und Eier auf die Premierengäste in Hamburg. Die Demonstranten vor der Neuen Flora protestierten aus Angst vor einer Kommerzialisierung des Schanzenviertels gegen den Neubau des Musical-Theaters.

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Dort standen fortan Startenor Peter Hofmann als Phantom und Sopranistin Anna Maria Kaufmann als Christine auf der Bühne und schlugen ein neues Kapitel der Erfolgsstory aus der Feder von Andrew Lloyd Webber auf: Elf Jahre lang lief die Show in Hamburg am Stück. 25 Jahre nach jener ersten Aufführung 1990 hieß es am Donnerstag erneut: Premiere fürs Phantom mit Promis und „Phans“, denn: „Liebe stirbt nie“ - die Geschichte geht weiter.

Was bisher geschah: Das 1986 in London uraufgeführte „Phantom der Oper“ gilt als eines der erfolgreichsten Musicals weltweit. Mehr als 130 Millionen Zuschauer sahen es, mehr als 20 Länder führten es auf und mehr als 50 wichtige Theaterpreise erhielt es, wie der Musicalkonzern Stage Entertainment berichtet. 2013 holte er die Show noch einmal für fast zwei Jahre nach Hamburg und läutete die Fortsetzung der berühmten Geschichte ein. Diese hatte es 2010 schon in London gegeben: Dort lief „Love Never Dies“ (Liebe stirbt nie) etwas mehr als ein Jahr und schaffte den ursprünglich geplanten Sprung an den New Yorker Broadway nicht. Aber den nach Australien - und genau darauf setzt nun auch Stage Entertainment.

Die Londoner Inszenierung, die auch Lob, vor allem aber Verrisse erntete, sei - betont Stage Entertainment - mit der Hamburger Produktion nicht zu vergleichen. Diese bringt das australische Kreativteam auf die Bühne, dessen Inszenierung 2011 in Melbourne Premiere hatte und die im Operettenhaus einen idealen Standort gefunden hat: Inmitten des Amüsierviertels St. Pauli nimmt „Liebe stirbt nie“ das Publikum 100 Jahre mit zurück in eine Welt voller Unterhaltung, Varieté und skurriler Gestalten. Zwischen Lichterketten und Karussells tummeln sich Zauberer und Stelzenkünstler, die kleinsten (1,09 Meter) und die größten (1,90 Meter) „Freaks“ in fantasievollen und farbenprächtigen Kostümen vor einem opulenten Bühnenbild.

Die Macher der 7,5-Millionen-Euro-Produktion haben an Ausstattung nicht gegeizt. Beim Gesang wird ebenfalls ganz aus dem Vollen geschöpft: Stimmgewaltig verkörpern der isländische Tenor Gardar Thor Cortes (41) das Phantom und die gebürtige Amerikanerin Rachel Anne Moore (30) die Christine. Auch die anderen Darsteller bis hin zum kleinen Gustave (Kim Benedikt) beeindrucken mit ausdrucksstarken Stimmen. Den Gänsehautmoment der Show aber hat Christine mit „Liebe stirbt nie“. Wenn sie im blauen Pfauenkleid mit einer Schleppe aus plissierten Rüschen, für die 60 Meter Stoff vernäht wurden, im Titellied von ewiger Liebe singt, hat das Ohrwurmpotenzial.

Eingängig sind auch andere Melodien in dem durchkomponierten Stück, in dem selten gesprochen wird - etwa wenn sich das Phantom nach seiner Muse Christine sehnt („So sehr fehlt mir dein Gesang“) oder sich beide im Duett an „Einst in einer andern Zeit“ erinnern. Nach manchmal allzu viel Gefühl und Geschmachte unterm Sternenhimmel kommen rockige Klänge und düstere Momente, etwa wenn das Phantom Gustave seine Welt zeigt, gerade recht. Auch Duette wie „Wer verliert, geht unter“ der beiden Konkurrenten um Christines Liebe bleiben eine Zeit lang im Ohr. Und bisweilen klingt Vertrautes durch, wenn auf Zitate aus dem ersten Teil zurückgegriffen wird. Aber das Phantom und Christine sind eben nicht mehr in der Pariser Oper.

Die dünne Fortsetzung ist schnell erzählt: Zehn Jahre sind vergangen, das Phantom betreibt auf Coney Island das Varietétheater Phantasma und denkt noch immer an „Ah, Christine!“. Mit einer List holt es die gefeierte Sängerin in sein Theater, samt Ehemann Raoul (Yngve Gasoy-Romdal) und Sohn Gustave reist sie an - und muss sich bald zwischen Masken- und Ehemann entscheiden. Zwischen den Karussells von Coney Island nimmt die Geschichte allerdings selten an Fahrt auf. Doch wo Spannung und Tiefgang fehlen und manches fast zu albern wirkt, trumpfen überragende Sänger und prächtige Ausstattung auf.

In Kommentaren zur australischen Inszenierung, die auch auf DVD erschien, ist in den sozialen Netzwerken sowohl von der gelungen Fortsetzung als auch vom unnötigen Aufguss die Rede. Die deutschen Fans können sich im Operettenhaus selbst ihr Bild machen. Und in der Neuen Flora fliegen demnächst allenfalls Teppiche - wenn „Aladdin“ im Dezember Europapremiere feiert.