Ohne Starallüren Aida Garifullina ist der neue Stern am Opernhimmel

Wien (dpa) - Aida Garifullina strahlt und sprüht vor Energie. „Mein Herz will singen und tanzen“, sagte die zierliche 29-Jährige mit der großen Stimme und der Porzellanhaut.

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In der Wiener Staatsoper lebt sie ihren Traum. Lange Zeit war die Russin zu scheu, um zu einem Vorsingen zu gehen und bewarb sich stattdessen als Platzanweiserin. Mehrmals die Woche lauschte sie als Studentin auf dem Stehplatz ihren Vorbildern. Nun steht die Sopranistin selbst auf der Bühne und gilt als eine der größten Nachwuchshoffnungen der Opernwelt. Garifullina will den Ruf der behäbigen Operndiva entstauben - ohne Starallüren, dafür mit sicherem Umgang in sozialen Medien.

„Ich muss immer mit dem Gefühl leben, verliebt zu sein. Wenn eine Frau verliebt ist, ist alles leicht und einfach“, sagt die in der russischen Teilrepublik Tatarstan geborene Künstlerin. Gerade erst kehrte die junge Mutter von ihrem Auftritt in „Schneeflöckchen“ aus Paris zurück. Im Juni gibt sie die Gilda in „Rigoletto“ in Wien.

An ihrem Leben lässt sie ihre Fans mit privaten Einblicken teilhaben. Ihre glamourösen Darstellungen versteht sie nicht als Inszenierung. So sehe ihre Leben nun mal aus. Sie umgebe sich einfach gern mit schönen Dingen. Fotos von großen Blumensträußen, Designerkleidung und teurem Schmuck zieren ihren Instagram-Account. „Ich liebe Shopping und auch einmal Entspannung im Spa“, sagt die Sängerin mit den langen schwarzen Haaren. Zu ihrem Job gehöre auch der öffentliche Auftritt - in der realen wie in der digitalen Welt. „Ich muss immer aussehen wie auf dem roten Teppich - aus Respekt vor dem Publikum.“

Mit diesen Mitteln versucht sie, neues Publikum in die Oper zu locken. Das Interesse junger Menschen, die bislang auf Instagram nach Mode geschaut haben, soll so geweckt werden. „Ich will zeigen, dass Oper auch fesch sein kann.“ Dabei bewegt sie sich scheinbar mühelos zwischen den Genres.

Einen Ausflug nach Hollywood kann die Sängerin bereits verbuchen. In ihrer Heimat singt sie russische Klassiker vor einem Millionenpublikum im TV und nahm damit eine CD auf. Kritiker attestieren ihr einen warmen und runden Sopran. „Vielleicht ist in der einen oder anderen Arie noch etwas wenig Diktion drin und ein bisschen sehr viel Klang - aber wo hat man das schon: ein Zuviel an Musikalität, Temperament und Talent, solch überschießende Freude am eigenen Tun?“, formulierte „Die Zeit“.

So sicher sich Garifullina abseits der Bühne auch in der digitalen Welt bewegt, die neuen Vermarktungschancen bergen für den Staatsoperndirektor Dominique Meyer auch Gefahren. „Ich kenne leider viele Künstler, die sich vermehrt Nebensächlichkeiten zuwenden auf Kosten des für ihre Arbeit Wesentlichen, nämlich ihre Rollen zu studieren, die Gesangstechnik zu pflegen und sich auf die Proben und Auftritte zu konzentrieren.“ Auf Garifullina treffe das aber ausdrücklich nicht zu, sagt Meyer. Sie arbeite sehr gewissenhaft. Er setze sie aufgrund ihrer großen Stimme gern in Produktionen ein.

Garifullina kennt nach eigenen Worten die Tücken der neuen Medien. „Es ist immer die Gefahr für junge Künstler, dass sie zu weit weg von der harten Kunst gehen.“ Aber dieser Weg führe schnell in eine Sackgasse. „Man kann das Publikum nicht anlügen“, so die Sopranistin. Die Zuschauer bemerkten sofort, wenn die Künstler nicht jede Facette der Rolle hart erarbeitet hätten.

Ihren Durchbruch feierte Garifullina 2013, als sie in Verona den prestigeträchtigen Wettbewerb „Operalia“ von Plácido Domingo gewann. „Wenn sie das richtige Repertoire singt, wird sie eine fantastische Karriere hinlegen“, so Domingo. 2015 eröffnete sie den musikalischen Teil des Wiener Opernballs. Eine große Ehre in der Kulturstadt. Um ihre Stimmgewalt zu pflegen, singt sie am Tag etwa drei bis vier Stunden, im Urlaub etwas weniger. „Wenn ich zwei Tage nicht geübt habe, fühle ich schon den Unterschied, dass ich wieder von vorne anfangen muss.“ Sie wolle jeden Tag besser werden.

Begonnen hat alles in ihrer Kindheit. Ihre Mutter, eine Chorleiterin, die bis heute in fast jeder Vorstellung sitzt, führte sie zur Klassik. Mit fünf Jahren machte sie ihren ersten Gesangswettbewerb im 800 Kilometer entfernten Moskau. Mit 18 Jahren ging es zunächst nach Nürnberg und dann nach Wien zum Musikstudium.

Bei ihrem ersten Auftritt auf der großen Bühne 2013 wandelte sie - wenn auch zufällig - auf dem Weg der großen Operndiva Anna Netrebko. Beide Frauen debütierten als Susanna in Mozarts „Die Hochzeit des Figaros“ in St. Petersburg unter dem Dirigenten Valery Gergiev. Garifullina trug sogar das gleiche Kleid wie „Donna Anna“ Jahre zuvor. Auf Vergleiche mit der Operndiva reagiert Garifullina verhalten: Die beiden Künstlerinnen verstünden sich gut, aber sie hätten unterschiedliche Karrieren.