Auf der Überholspur: Klavierstar Lang Lang wird 30

Berlin (dpa) - „But please make it quick“, bitte, schnell soll es gehen, als ein Pulk von Berlin-Besuchern Lang Lang „Unter den Linden“ entdeckt. Vergeblich hat der Pianist versucht, sich hinter seiner Sonnenbrille zu verstecken, schon werden Handys und Kameras gezückt.

Stehenbleiben, lächeln, dann geht's weiter. Er sieht geschmeichelt aus an diesem Morgen, aber auch ein bisschen genervt. Der Pianist aus China, in Deutschland auf der Durchreise, hat es eilig.So früh ist er selten auf den Beinen, meistens liegt er bis Mittag im Bett und schläft seinen Jetlag aus. Bis in die Nacht hat er sich die Wiederholung eines EM-Spiels angeschaut, doch jetzt warten die Interviews.

Gerade war Lang Lang beim Queen-Jubiläum in London, in Berlin hat er an fünf Tagen im Studio seine neue Chopin-CD aufgenommen, am Donnerstag (14. Juni) feiert er seinen 30. Geburtstag mit einem Konzert in der O2-Arena. Er hat dazu 50 Nachwuchspianisten aus aller Welt nach Berlin eingeladen und dazu Jazz-Legende Herbie Hancock. Der Kulturkanal Arte sendet das Geburtstagskonzert am Freitag (15. Juni, 20.15 Uhr). Danach wird Lang Lang weiterziehen: Rom, wieder London, Saratoga, Luzern, Lübeck. Eine Karriere aus Koffern.

„Wann, wenn nicht jetzt“, sagt Lang Lang später im Gespräch mit der Nachrichtenagentur dpa. Zwar sei das Leben in der Business-Class nicht immer angenehm. „Aber ich liebe es, diese Energie zu spüren, die mich immer wieder weitertreibt.“ Im Hotelhof bestellt er sich einen Milchkaffee, „ein paar Kekse, aber nicht zu süß“, ein Sandwich wird er nur zur Hälfte aufessen, er will wieder ins Bett, bevor seine Familie anreist.

Es ist ein langer Weg gewesen bis zum Fünf-Sterne-Hotel am Gendarmenmarkt in Berlin, kurz bevor er 30 wird. Die Zeit der Kindheit, als er mit einem halben Dutzend Familien in engsten Verhältnissen in Peking aufwuchs und ein tyrannischer Vater ihm die Finger blutig schlug, damit er übt, scheint weit weg. Oben, in der Suite, wartet die stets mitreisende Mutter, mit drei Handys hält Lang Lang die Nabelschnur zum Rest der Welt aufrecht, zu Freunden und Geschäftspartnern.

Mit Zähigkeit, Disziplin und viel, viel Talent kämpfte sich Lang Lang aus den kleinen Verhältnissen hoch. Von 1997 bis 2002 studierte das Wunderkind am Curtis Institute in Philadelphia bei Gary Graffman, der unter anderem bei Vladimir Horowitz gelernt hatte. So nahm er den Faden der europäischen Klaviertradition auf, Daniel Barenboim wurde sein Mentor. Ein Youtube-Video zeigt den Meister und den Schüler beim Einstudieren von Beethovens „Appassionata“ - eine atemberaubende Lektion in musikalischer Bildung.

Kritiker gingen nicht immer gnädig mit ihm um, machten sich lustig über die Zappelphilipp-Gesten am Piano, seine zur Schau gestellte Virtuosität, die irritierende Leichtigkeit seines Spiels. Dass er als Werbeträger für Großkonzerne unterwegs ist, nehmen ihm Puristen übel. Bei Lang Lang sind die Grenzen zwischen Pop und Klassik verschwunden.

Wer Ende 20 fast so berühmt ist wie Madonna und Messi, mit den Berliner Philharmonikern und dem New York Philharmonic Orchestra auftritt und zum Vorspielen von Barack Obama ins Weiße Haus und von der britischen Königin eingeladen wird, dem drohen die Lebensziele auszugehen. „Auf keinen Fall“, erwidert Lang Lang fast empört. „Die Kindheit ist schon lange vorbei, jetzt geht auch die Jugend zu Ende. Doch es liegt noch so viel vor mir“, sagt er - und es klingt ein wenig nach Befreiungsschlag. Denn nun hofft er, nicht immer nur die Erwartungen anderer erfüllen zu müssen.

Etwa im Repertoire. Immer wieder musste er sie spielen, die Evergreens der Klaviermusik, die Konzerte von Tschaikowsky und Rachmaninow. „Um es offen zu sagen: Das erwarten das Publikum und die Veranstalter.“ Doch jetzt tritt Lang Lang auf die Bremse: keine 150 Konzerte mehr im Jahr. „Ich will endlich auch mal Nein sagen. Jeder Musiker kann das.“

Und er will sich Wolfgang Amadeus Mozart zuwenden, dessen Sonaten er als Kind jeden Tag spielte, aber zum Karriereaufbau zugunsten der großen Werke der Romantik vernachlässigte. Drei Klavierkonzerte von Mozart und drei Sonaten will er in den kommenden Monaten einstudieren. Das klingt wenig spektakulär und steht doch im Dienst der Karriere. „Das Publikum soll wissen, dass ich auch Mozart spielen kann.“ Lang Lang ist dabei, sich neu zu erfinden. Das Bild des Teenie-Stars passe ohnehin nicht zu ihm, „der Kern meines Publikums sind die regelmäßigen Konzertgänger und dann, ja, einige Erstbesucher“, gesteht er zu.

„Ich muss nicht mehr überall hinfliegen“, sagt er, der Tourenkalender hört im Juli auf, im August will er Urlaub machen in der Provence. Seit einigen Jahren engagiert er sich mit einer eigenen Stiftung für den Klaviernachwuchs und die Musikausbildung. Und er denkt über eine eigene Familie nach. „Das ist mein Plan für die nächsten fünf Jahre - wenn ich die geeignete Partnerin finde. Aber wer weiß, das kann dauern, aber es kann alles auch sehr schnell gehen.“