Weckruf Barrie Koskys Bayreuther „Meistersinger“ umjubelt

Bayreuth (dpa) - Im zweiten Aufzug von Richard Wagners Oper „Die Meistersinger von Nürnberg“ gibt es eine der turbulentesten Chorszenen der Operngeschichte. Zu furioser Musik von Chor und Orchester wird der Stadtschreiber und Meistersinger-Juror Sixtus Beckmesser, dem Wagner eindeutig antisemitische Züge gegeben hatte, von einer aufgebrachten Menge verprügelt.

In Barrie Koskys Neuinszenierung der Oper, mit der am Dienstagabend die Bayreuther Festspiele eröffnet wurden, wird dem verletzt am Boden kauernden Beckmesser ein Schwellkopf übergestülpt. Dann entfaltet sich neben ihm eine riesige, hakennasige Karikatur des „ewigen Juden“.

Kosky lässt mit diesem Bild keinen Zweifel daran, wie er seine Deutung von Wagners einziger komischer Oper verstanden wissen will: als eindringlichen Weckruf gegen Antisemitismus und Fremdenhass, Ressentiments, die in Europa und darüber hinaus gerade eine unheilvolle Renaissance erleben. Dabei zieht er eine direkte Verbindung zum Leben des Komponisten, dessen unverhohlenen Rassenhass und der Verherrlichung seiner Werke im Nationalsozialismus. Das Premierenpublikum, unter ihnen das schwedische Königspaar und Bundeskanzlerin Angela Merkel, war von der Inszenierung offensichtlich begeistert.

Den ersten Aufzug verlegt Kosky in Wagners Bayreuther Villa Wahnfried. Dort haben sich Familie und Freunde des Meisters zu einer Privataufführung der „Meistersinger“ versammelt. Unter ihnen Gattin Cosima, Schwiegervater Franz Liszt und der Dirigent Hermann Levi. Zu Levi, der Wagners „Parsifal“ aus der Taufe hob, hatte der Komponist ein ambivalentes Verhältnis. Er förderte ihn zwar als Musiker, verspottete ihn aber auf zuweilen sadistische Weise wegen dessen jüdischer Herkunft. Levi verwandelt sich wenig später in Beckmesser, Cosima in Eva, Liszt in Veit Pogner und Wagner selbst in Hans Sachs, den Hüter der „deutschen Kunst“, mit dem sich der Komponist identifiziert haben soll.

Am Ende des eher burlesk-harmlosen ersten Aufzugs fährt die Wahnfried-Puppenstube nach hinten, während sich die Wände jenes Gerichtssaals herabsenken, in denen die Nürnberger Kriegsverbrecherprozesse stattgefunden haben. Nürnberg war, wie Kosky den Zuschauern in Erinnerung ruft, nicht nur Sehnsuchtsort eines urdeutschen Ideal-Mittelalters, sondern auch die Stadt der Reichparteitage und Rassegesetze und des unbändigen Rassenhasses eines Julius Streicher. Sie wurde von alliierten Bombern fast vollständig zerstört und dann mit den „Nürnberger Prozessen“ zum Symbol des Versuchs, unvorstellbare Verbrechen gegen die Menschlichkeit juristisch aufzuarbeiten.

Manchmal kommt Koskys ambitionierte Inszenierung wie eine Geschichtsstunde daher. Die Volksmassen im Gerichtssaal, der eigentlich die Festwiese ist, wirken wie die enthemmten Volksgenossen der Reichsparteitage, der im Meistersinger-Wettstreit siegreiche Stolzing gar wie der „Führer“ selbst, dem sich die Hände seiner Jünger(innen) entgegenstrecken. Und wenn Sachs/Wagner am Ende im Zeugenstand der Nürnberger Prozesse ein aus dem Bühnenhintergrund herangefahrenes Privatorchester dirigiert, meint man, eine zackige Hitler-Jugend-Spielschar vor sich zu haben.

Kosky versteht sein Handwerk, vor allem die Personen- und Chorregie, bietet jedoch wenig Überraschendes. Es wäre kein wirklich überzeugender Abend geworden, wäre da nicht der so überaus kultivierte Kraftprotz Michael Volle, der als Sachs alle gegen die Wand spielte und sang. Klaus Florian Vogt gab einen stimmschönen, wie immer etwas neutralen Stolzing, während die stimmlich rustikale Anne Schwanewilms als Eva sogar ausgebuht wurde. Johannes Martin Kränzle sang und spielte den Underdog Levi/Beckmesser, der als assimilierter Jude selbst von den eigenen Glaubensgenossen geschmäht wird, mit Witz und Intensität.

Viel Jubel, gemischt mit ein paar Buhs, gab es für Phillipe Jordan, den Dirigenten des Abends. Der Chef der Pariser Oper und der Wiener Symphoniker bot mit Chor und Orchester der Bayreuther Festspiele eine entschlackte, nervige Interpretation der Wagnerschen Partitur. Weit entfernt von jenem Bombast, mit dem etwa die berühmte Ouvertüre nicht nur in der Nazizeit aufgedonnert wurde.