Bayreuth steht ohne „Holländer“ da

Bayreuth (dpa) - Ist der Skandal schon da? Sind die Bayreuther Festspiele gerade noch an einem Skandal vorbeigeschrammt? Oder ist es nur eine Jugendsünde, die man verzeihen kann?

Da hätte beinahe am Mittwoch (25. Juli) ein Sänger vor dem Premierenpublikum der Wagner-Festspiele gestanden, der sich einst Symbole mit klar nationalsozialistischem Bezug tätowieren ließ. Evgeny Nikitin versicherte, er habe sich die Tattoos in seiner Jugendzeit stechen lassen. Aus heutiger Sicht sei das ein großer Fehler gewesen. Trotzdem sagte er seine Auftritte in Bayreuth ab.

Denn wer im Festspielhaus auf der Bühne steht, betritt geschichtsträchtigen Boden, der einst tiefbraun durchtränkt war. Adolf Hitler ging beim Wagner-Clan im Haus Wahnfried ein und aus. Auf dem Festspielhügel wehten Hakenkreuz-Fahnen. Die engen Verstrickungen der Festspiele mit dem Nationalsozialismus markieren ein düsteres Kapitel der deutschen Kultur- und Musikgeschichte.

Jeden Anschein, man sei sich dieser Geschichte nicht bewusst, wollen die Festspiele wohl vermeiden. Doch: Hat sich die Festspielleitung bei der Besetzung der „Holländer“-Partie nicht gut genug mit Nikitin beschäftigt?

Man verpflichte eine Stimme, sagte Festspielsprecher Peter Emmerich. Was jemand auf der Haut trage, sei nebensächlich. Eigentlich. Denn Filmaufnahmen, die Nikitin am Schlagzeug einer Metal-Band mit kahlrasiertem Kopf und verräterischem Tattoo oberhalb der Brust zeigen, haben die Festspielleitung und den Regisseur nun aufgeschreckt.

Das ZDF hatte sie am Freitagabend in einem Beitrag über Nikitin ausgestrahlt. „Es gehörte einfach zu unserer Underground-Kultur“, hatte der Sänger über seine Tattoos gesagt. Sie schienen ihm nicht mehr wichtig zu sein, sondern - im Gegenteil - fast peinlich.

Am Samstag trafen sich die Verantwortlichen mit dem Sänger aus Russland. Anschließend veröffentlichte Nikitin eine Erklärung, mit der er seine Auftritte in Bayreuth absagte. Damit blieb ihm der Rauswurf erspart.

Die Chefinnen am Grünen Hügel, Katharina Wagner und Eva Wagner-Pasquier, Dirigent Christian Thielemann und Regisseur Jan Philipp Gloger stehen nun ohne Hauptfigur für die Eröffnungspremiere da.

Am Mittwoch wird Prominenz aus Politik, Gesellschaft und Kultur in Bayreuth erwartet. Woher jetzt einen „Holländer“ nehmen, der so kurzfristig einspringen kann und in der Inszenierung nicht als Fremdkörper wirkt? „Damit entsteht eine ganz neue Situation“, sagte Sprecher Emmerich.

Dabei waren die Vorbereitungen auf die 101. Festspielsaison in Bayreuth bislang harmonisch und weitgehend geräuschlos verlaufen. Thielemann hatte nach der Orchesterhauptprobe von der guten Zusammenarbeit der Beteiligten bei der „Holländer“-Neuinszenierung geschwärmt.

Nikitin schien als erster Russe mit einer Titelpartie in Bayreuth die Rolle des Exoten und unkonventionellen Sängers zuzukommen. Er hatte bereits Wochen vor den Festspielen zahlreiche Interviews gegeben. Das ZDF zeigte ihn beim Eisessen in Bayreuth oder beim Spaziergang ums Festspielhaus. Nun ist er bereits abgereist.