Büchner-Opern im Doppelpack

Karlsruhe (dpa) - „Dantons Tod“ ist das einzige Drama Georg Büchners (1813-1837), das zu Lebzeiten des Dichters veröffentlicht wurde. Büchner konzipierte sein Revolutionsstück in 32 Szenen für mehr als 30 Darsteller.

Er benutzte dafür historisch überlieferte Reden und Briefe. Bis auf wenige Ausnahmen agieren nur männliche Helden - Revolutionäre, Politiker, die fast alle unter der Guillotine enden.

Auch der Komponist Gottfried von Einem rückte 1947 in seiner Oper „Dantons Tod“ die männlichen Revolutionäre in den Vordergrund. Der Komponist Wolfgang Rihm dagegen interessiert sich für die weiblichen Opfer der französischen Revolution. Seine Oper „Eine Straße, Lucile“ wurde am Samstag im Badischen Staatstheater in Karlsruhe uraufgeführt - im Doppelpack mit Gottfried von Einems „Dantons Tod“.

Im Mittelpunkt von Rihms Stück steht Lucile. Sie war die Frau von Camille Desmoulins, einem der Führer der Französischen Revolution, der 1794 hingerichtet wurde. Ihr widmet Rihm seine knapp 15-minütige Szene für Sopran und Orchester. Bei Büchner ist Lucile bereits dem Wahnsinn verfallen. Bei Rihm erscheint sie als erstaunlich hellsichtige Kritikerin des tödlich-revolutionären Wahnsinns. Wenn Lucile das Morden beklagt, singt sie dies zu Walzerklängen.

Ansonsten zeigt sich Rihm überraschend lyrisch. Diana Domsche verkörpert die hochkomplizierte Solopartie mit rhythmischer Sicherheit: Rihm klingt da wie Puccini. Wenn Lucile am Ende mit dem Ruf „Es lebe der König!“ ihre eigene Hinrichtung provoziert, sind wir bereits bei Gottfried von Einem (1918-1996).

Der in der Schweiz geborene Komponist lieferte mit seiner Büchner-Revolutionsoper 1947 bei den Salzburger Festspielen kurz nach dem Zusammenbruch des Naziregimes einen Opern-Überraschungscoup. Seither gehört von Einems „Danton“ nicht gerade zu den Rennern des Repertoires. Völlig zu Unrecht - beweist die Karlsruher Produktion. Knapp anderthalb Stunden fasziniert die atemlose, temporeiche Musiksprache: Jazz-Klänge, unerbittliche Ostinati, Ausbrüche der schweren Blechbläser, lyrische Holzbläsersätze.

Regisseur Alexander Schulin inszeniert schlüssig den Bogen von Rihm zu von Einems revolutionärer Vorgeschichte. Bettina Meyer hat dazu eine Drehbühnen-Konstruktion ersonnen, die Büchners unerbittliche Geschichtsvision langsam rotierend symbolisiert. Musikalisch geschieht das auf höchstem Niveau. Kapellmeister Jochem Hochstenbach animiert die Badische Staatskapelle zu präzisem, rhythmisch pointiertem Spiel.

Der Badische Staatsopernchor (Einstudierung: Ulrich Wagner) meisterte die enormen Anforderungen brillant. Das Solistenensemble agiert höchst kompetent: Diana Tomsche singt mit ihrem lyrischem Sopran Rihms Uraufführungspartitur ebenso sicher wie von Einems Oper aus dem Jahr 1947.