Oper mit viel Ballett Demis Volpi entzückt mit „Tod in Venedig“
Stuttgart (dpa) — Mit einem seltenen künstlerischen Schulterschluss haben die Staatsoper und das Ballett in Stuttgart Benjamin Brittens Singspiel „Der Tod in Venedig“ aufgeführt — und beim Publikum Euphorie ausgelöst.
Der seit gut drei Jahren als Multitalent gefeierte Hauschoreograf Demis Volpi inszenierte das Drama um den alternden Schriftsteller Gustav von Aschenbach, der dem Knaben Tadzio verfällt - nach der Novelle von Thomas Mann.
Die Stärke der Inszenierung: Der erst 31 Jahre alte Volpi legt zwar ein großes Maß seiner Konzentration auf Aschenbach. Vor allem aber spielt er sein Können als Ballettchoreograf aus und bietet so etwas, was viele andere Inszenierungen nicht haben.
An der zum „Opernhaus des Jahres“ gekürten Bühne verzückt der dauerpräsente Tenor Matthias Klink als Aschenbach seine Fans. Der Star des Ensembles trägt den ganzen Abend. Er spielt Thomas Manns literarischen Doppelgänger. Der ist mit seiner Schaffenskraft am Ende, hat das Leben als Familienvater weitgehend hinter sich und sucht mit der Reise in den Süden neue Inspiration - und entdeckt sein tiefes homosexuelles Verlangen. Er verliebt sich in Tadzio, „ein Kind mit überirdischer Anmut“. Es zerreißt ihn innerlich.
Auf der minimalistisch gestalteten Bühne gibt es keine Postkartenmotive, keine Gondeln — stattdessen milchig transparente Plexiglaswände, die bisweilen zum Labyrinth werden. Nur Karnevalsfiguren, Nebelschwaden, Hotelrequisiten erinnern an die Lagunenstadt (Kostüme und Bühne: Katharina Schlipf). Ein Sarg und siechende Menschen in tristem Schwarz künden von Gefahr. Die tödliche Seuche Cholera wütet in Venedig. Sie rafft auch Aschenbach hinweg.
So sehr sich Volpi auf die sängerische Souveränität Klinks und von Bariton Georg Nigl, der gleich sieben Rollen singt, verlassen kann, so viel kann er sich auf den anderen Schwerpunkt von Brittens (1913-1976) letzter und wohl persönlichster Oper und auf sein Ureigenstes konzentrieren: den Tanz. Musikalisch ist das oft spröde. Doch die lose Kette von Episoden lässt Volpi reichlich Spielraum für seine überbordende Fantasie. Nicht immer ist klar, was Wirklichkeit, was Traum ist. Statuen — wie die des griechischen Gottes Apollon - werden lebendig, Wände durchsichtig.
Zwar darf auch Klink tanzen. Aber klar ist, dass seine Welt des anspruchsvollen Wortes stets eine andere bleibt als die Tadzios, bei dem alles Tanz ist. Im Tanz widmet sich Volpi den spielenden Knaben am Strand, dargestellt von Eleven der John Cranko Schule. Als Tadzio meistert der Brasilianer Gabriel Figueredo eindrucksvoll Solopartien und einen Tanz mit Apollon, den Volpi als tänzerische Figur eigens für seinen Solisten David Moore schafft. Apollons Stimme (Jake Arditti) kommt aus dem Off.
Volpi sieht seinen Apollon als Überhöhung Tadzios, als Mann, der anders als das Kind auch berührt werden kann. Moores großer Part ist hier auch eine Hommage an das für seinen Hochglanzkitsch bekannte schwule Künstlerpaar Pierre et Gilles — Volpi lässt den makellosen Körper mit Goldanstrich auf nackter Haut vor funkelnden Girlanden glänzen.
Nach rund drei Stunden Aufführung kommt Volpi wie ein strahlender Sieger auf die Bühne, um sich und das musikalisch vom künftigen Weimarer Generalmusikdirektor Kirill Karabits geführte Ensemble mit donnerndem Applaus feiern zu lassen. Für den Argentinier ist diese Opernregie mit großem Personal von mehr als 70 Akteuren ein weiterer Schritt in einer Reihe gelobter Arbeiten. Nach seinem Handlungsballett „Salome“ (2016) ist er nun auch für den renommierten Tanzpreis Prix Benois de la Danse nominiert. Die Preisträger werden am 30. Mai bei einer Gala im Moskauer Bolschoi Theater bekannt gegeben. Es wäre Volpis bisher größter Triumph.