Depeche Mode: Rocken wie eine Dampfwalze
Am Freitagabend treten Depeche Mode zum zweiten Mal in Düsseldorf auf. Beim ersten Konzert zwei Tage vorher begeistern sie 50 000 Fans mit neuen Songs und ihren Klassikern.
Düsseldorf. Wahrscheinlich kennt jeder in der Arena das Gerede: „Delta Machine“, das neue Album von Depeche Mode, sei nicht ihr stärkstes. Eine Platte ohne Hits und Tempo. Darauf tanzen? Unmöglich! Also erwarten am Mittwoch, beim ersten von zwei Düsseldorfer Konzerten der englischen Band, wohl knapp 50 000 Fans eine keuchende Delta-Maschine.
Das Motto: Das wird zwar nur halb so gut wie gewünscht. Aber Depeche Mode sind Kult. Und ein Kult fragt nicht nach temporären Befindlichkeiten. Und plötzlich ist all das Blödsinn. Es war nämlich eine Rechnung, die ohne den Wirt gemacht wurde, der seit 33 Jahren den Elektropop dominiert und weiß, wie er seine Stammkunden bei der Stange hält: Schon der Eröffnungssong „Welcome to my World“ — er ist vom neuen Album — wuchtet wie eine Dampfwalze voran.
Das liegt auch am Schlagzeuger, den die Band auf Tour dabei hat: Er ist zwar namenlos angesichts des allmächtigen Triumvirats aus Sänger Dave Gahan, Songschreiber und Gitarrist Martin Gore und Keyboarder Andrew Fletcher. Aber er verleiht den technoiden Klängen den fürs Stadion-Niveau nötigen Rock-Wumms. Hinzu kommen ein paar ursprüngliche Blues-Elemente, die zeigen, wie sehr musikalisches Können und der Hunger dieser Band seit damals gewachsen sind.
Die Klassiker vernebeln sowieso jedem noch so renitenten Lästerer die Motz-Sinne: Mit „Enjoy the Silence“, „A Question of Time“ oder „Just can’t get enough“ haben Depeche Mode die Welt schon vor Jahrzehnten dazu gebracht, ein Stück weit in ihrem Takt zu rotieren. Jetzt bringen sie mit ihnen die Fans zum Rotieren: Die schmeißen zu „Black Celebration“ Luftballons und halten bei der von Martin Gore gesungenen Ballade „Judas“ Schilder mit der Aufschrift „In Gore We Trust“ hoch. Normalerweise heißt es ja „In God we trust“ (Wir vertrauen Gott). Heute vertrauen die Menschen 105 Minuten lang anderen Göttern.
Der größte ist zweifelsohne Gahan, der sich genüsslich um sich selbst dreht. Mit und ohne Mikroständer. Kreuz und quer über die Bühne. Vor 17 Jahren spritzte er sich einen Heroin-Kokain-Mix und war für Minuten klinisch tot. Heute ist der 51-Jährige in der Form seines Lebens, springt über die Bühne und begleitet fast jedes Lied mit verzückenden Hüftschwenkern.
Am Ende steht Gahan auf dem Steg, der raus ins Publikum führt, und schaut inmitten des Händemeeres aus wie ein Messias. Er singt „Never let me down again“: Lass’ mich nie wieder hängen. Einen Grund dazu hat er freilich nicht: Die „Delta Machine ist spätestens jetzt kein quietschendes Räderwerk mehr, sondern ein Formel-1-Bolide des Pop. Und Depeche Mode sind in einer Würde gealtert, die vielen ihrer Ü-50-Popstarkollegen die Schamesröte ins Gesicht treiben muss.