Deutschland „im Tal der wilden Rosen“?
Berlin (dpa) - Jetzt erobert der Schlager auch noch eine der letzten Bastionen gegen die Heile-Welt-Musik: den Heavy Metal. Der Auftritt von Volksmusik-Legende Heino auf dem Hardrock-Festival in Wacken zeigt: Schlager ist in diesem Jahr richtig angesagt - überall.
Sein Boom beginnt bereits im Winter: Helene Fischer und Andrea Berg wechseln sich mit ihren Alben „Für einen Tag - Live“ und „Abenteuer“ an der Spitze der Charts ab. Kein Wunder: Die beiden sind die erfolgreichsten Künstlerinnen in der letzten Zeit in Deutschland. Im vergangenen Jahrzehnt platzierten sie ihre Platten laut den Hitparadenforschern von Media Control zusammen mehr als 1200 Wochen in den Charts - Andrea Berg am längsten.
So einen Star holt sich „Pop-Titan“ Dieter Bohlen freilich gern an seine Seite. In diesem Frühjahr sollte Berg als Gastjurorin die Einschaltquoten seiner zuvor etwas schwächelnden RTL-Casting-Show „Deutschland sucht den Superstar“ nach oben schrauben. Günstigerweise stand die Staffel mit der Schweizerin Beatrice Egli und deren Vorliebe für deutschsprachige Musik sowieso unter einem guten Schlager-Stern.
In Anwesenheit ihres Idols sang die spätere „DSDS“-Gewinnerin Egli auch gleich den Berg-Hit „Du kannst noch nicht mal richtig lügen“. Danach hieß es von Star zu Nachwuchs: „Es ist klasse, was du geschafft hast.“ Und Bohlen legt die Thronfolge fest: „Hier sitzt die Schlagerkönigin, da steht die Schlagerprinzessin!“. Trotz Casting-Krone muss sich „Prinzessin Beatrice“ mit ihrem Album „Glücksgefühle“ kurz darauf aber mit Platz zwei der Hitparade begnügen. Höher treibt sie auch der „DSDS“-Rückenwind nicht.
Besser macht es Hansi Hinterseer: Pünktlich zu seinem 20. Dienstjubiläum als Entertainer steht der ehemalige Skisportler mit seinem neuen Album „Heut' ist dein Tag“ in dieser Woche erstmals an der Spitze der Charts. Genauso erfolgreich war Schlager-Rocker Matthias Reim („Verdammt ich lieb Dich“). 23 Jahre nach seinem Debüt landet er im Februar zum zweiten Mal auf Platz eins. Auf seinem Album „Unendlich“ gibt es neben Eigenkompositionen gecoverte Hits von Ostrock-Bands wie City oder Karat.
Abgelöst wird Reim von Heinos Platte „Mit freundlichen Grüßen“. Darauf wildert der goldblonde 74-Jährige im Rock- und Popzirkus und dreht ungefragt Hits von den Ärzten, Clueso und Peter Fox durch den Humptata-Wolf. Machen ihn allein Totenkopfring und Sonnenbrille wirklich zu einer - wie seine Frau Hannelore meint - „coolen Sau“? Die folgende mediale Fehde mit der Brachial-Band Rammstein um deren Hit „Sonne“ ist wohl seit dem gemeinsamen Auftritt vor einigen Tagen in Wacken beendet. Der Riesenrummel sichert Heino jedenfalls den Spitzenplatz der diesjährigen Download-Halbjahrescharts.
Auch Die Amigos können mit ihren Hits ganz vorn mitsingen. Die beiden Brüder aus der hessischen Provinz kegeln Ende Juni mit ihrem Album „Im Herzen jung“ mal eben die Hardrocker von Black Sabbath um Frontmann Ozzy Osbourne von der Charts-Spitze. Lieder wie „Ich ruf für uns im Himmel an“ oder „Im Tal der wilden Rosen“ treffen den deutschen Hörnerv. Auf der Amigos-Homepage heißt es dann auch: „Bestager, Generation 50plus, graue Panther... Muss man wirklich jung sein, um mithalten zu können?“ Offensichtlich nicht.
Aber man darf: Denn Schlager ist nicht nur „ZDF-Fernsehgarten“ oder „Musikantenstadl“ - er erobert auch die Independent-Szene. Dank Dagobert, dem „Schnulzensänger aus den Bergen“, und seinem gleichnamigen Debüt, das im April erscheint. Mit einfachen Melodien und etwas Elektro füllt der 1982 geborene Schweizer den ein oder anderen Szene-Club. In seinen pathetischen Songs findet selbst die Großstadtjugend zu Sehnsucht, Träumerei und Idylle.
„Ich kann nur Liebeslieder“, sagt Dagobert in einem Interview. Man kann, muss ihn aber nicht ernst nehmen. Eine Kunstfigur sei er jedoch nicht. Irreal wirkt es aber doch, dieses Aufeinandertreffen von Hipster-Jungs, Indie-Mädels und Dagoberts liebestrunkenen Versen („Ich nehm' dich bei der Hand und flüster dir ins Ohr: Bleib doch ein Leben lang, ich hab mit dir viel vor“). Seine liebste Textzeile: „Je t'aime heißt ich liebe dich“ von den Flippers. Da liegt Dagobert mit seinem Musikgeschmack mitten im bisherigen 2013er Mainstream.