Die Rocker auf dem Bar-Hocker
Viel mehr als "Fury in the Slaughterhouse": Wingenfelder & Wingenfelder begeistern in Köln.
Köln. Das wundert nicht: Mit ihrer alten Band "Fury in the Slaughterhouse" haben die Brüder Kai und Thorsten Wingenfelder die größten Hallen gefüllt, zahllose Goldene Platten eingeheimst. Und irgendwie wirken sie zu massig, als sie auf die kleine Bühne der Kulturkirche in Nippes kommen - zu groß für den Altarraum. Ein Gefühl, das schnell verschwindet. "Wir fangen wieder klein an. Wir sind eine Newcomerband", sagt Sänger Kai - und viele der mehr als 500 Besucher müssen schmunzeln. Denn es dauert keinen Song, da hat sich die alte "Fury"-Stimmung schon eingestellt.
Ob Englisch oder Deutsch - wie jetzt: Die Texte treffen den Nerv. Nichts gegen Tim Bendzko oder Andreas Bourani, deren deutschen Songs aktuelle Charts- und Radiolieblinge sind. Die Wingenfelders legen aber eine Reife und Haltung an den Tag, die ihnen in der bundesdeutschen Musiklandschaft eine Ausnahmestellung bescheren.
Rund 160 Minuten steht die Brüder und ihre vier Mitmusiker auf der Bühne. Und sie liefern eine druckvolle Show - mit brachialen und stillen Momenten. Und mit vielen Geschichten. Kai und Thorsten haben zu fast allen Songs eine Episode parat. Erklären Hintergründe, formulieren eigene Positionen - auch politische. Fest steht: Fans von Angela Merkel ("Die falsche Braut") oder "Bunga-Bunga" Berlusconi werden sie nicht mehr. Zuerst sitzen die Musiker auf stabilen, drehbaren Bar-Hockern. Doch einen echten Rocker hält es dort nicht lange.
Im Mittelpunkt des Konzerts steht natürlich das Debüt-Album als Duo "Besser zu zweit". Musikalisch fügt es sich nahtlos in den Karriere der Ex-"Furys". Gradliniger Rock, einfühlsame Balladen - ein leichter Hang zum Hymnischen. Das trippelnde "Dinge, die wir nicht verstehen" wird ebenso wie der fröhliche Pop-Song "Perfekt" bejubelt. Das frenetische "Revolution" wird zum breitbeinigen Stadionrocker, in dem das Gotteshaus unter dem fiebrigen Gitarrenspiel Thorsten Wingenfelders und dessen kongenialen Partner Norman Keil vibriert.
Überhaupt: Keil ist eine Entdeckung des Abends. Der 31-Jährige ist der "Benjamin" dieser Band - und ein Hasadeur an der Gitarre. Mit einer gehörigen Portion Star-Appeal ist er einer der Blickfänge auf der Bühne und fesselt wiederholt mit beeindruckenden, fingerfertigen Gitarrensoli. Klasse! Zu den Wingenfelders 2011 gehört die Ehrlichkeit zu sich selbst. Dass der Song "Die Angst vor der Angst" vor allem die Depressionen Kai Wingenfelders behandelt, "mit denen ich mich zehn Jahre lang herum geschlagen habe", ist ein Beispiel dafür. Mit ihrer Vergangenheit sind die Brüder im Reinen.
Das erfreut ihre langjährigen Fans. So fehlen "Fury"-Klassiker in der Setlist nicht. "Radio Orchid" oder "Time to wonder" zählen zu den Höhepunkten eines durch und durch einfach schönen Abends, bei dem alle auf ihre Kosten kommen: Eine Band mit großer Spielfreunde und die Fans in der Kirche. Bevor diese mit einer zarten, akustischen Version von "Trapped today, trapped tomorrow" auf dem Heimweg geschickt werden, haben die Wingenfelders noch ein Schmankerl bereit: Westernhagens "Der Junge auf dem weißen Pferd". Echt cool. Wie die ganze Band.