Die Toten Hosen erinnern an den Nazi-Terror
Düsseldorf (dpa) - Die Toten Hosen zusammen auf der Bühne mit Geigern, Cellisten, Hornbläsern und einem Flügel - kann das gut gehen? Vor zwei Jahren taten sich die ehemaligen Punkrocker in Düsseldorf mit dem Sinfonieorchester der Robert Schumann Musikhochschule zu einem höchst ungewöhnlichen Projekt zusammen.
An drei Abenden spielte die Rockband mit den jungen Virtuosen Musik, die 75 Jahre zuvor in der Ausstellung „Entartete Musik“ von den Nazis verfemt worden war - Werke von Komponisten, die vor dem NS-Terror fliehen mussten oder in den Konzentrationslagern umkamen.
Die Konzerte in der Düsseldorfer Tonhalle im Oktober 2013 waren ein riesiger Erfolg. Erst an diesem Freitag (30.10.) aber erscheint die zweieinhalbstündige Live-Aufnahme des denkwürdigen Abends. Denn eine Veröffentlichung war zunächst gar nicht geplant. „Wir haben auch nicht unbedingt damit gerechnet, dass die Konzerte so erfolgreich werden würden“, sagte Hosen-Frontmann Campino.
Die Veröffentlichung ist ein Benefizprojekt. Der gesamte Erlös geht an Stipendiaten und Konzertprojekten der Musikhochschule.
Natürlich sei die Band nervös gewesen, verrät Campino in dem Begleit-Dokumentarfilm. Gerade erst hatten die Toten Hosen im Oktober 2013 die erfolgreichste Stadiontournee ihrer Bandgeschichte beendet. Nun fanden sich die Rockmusiker in der Musikhochschule wieder, vor ihnen Dirigent Rüdiger Bohn. „Wir mussten uns an Dinge gewöhnen wie die Zeichen vom Dirigenten (...) Wir konnten auch alle keine Noten lesen (...)“, erzählt Breiti.
Dass die Hosen als Autodidakten mit den klassischen Musikern harmonierten, haben sie vor allem ihrem Arrangeur Hans Steingen zu verdanken. Nur eine Woche Zeit war für die Proben: Steingen und der Ideengeber des Konzerts, Prorektor Thomas Leander von der Musikhochschule, hatten alles akribisch vorbereitet.
Filmmusik des in die USA emigrierten Erich Wolfgang Korngold, sozialkritische Lieder von Kurt Weill und Hanns Eisler, Klezmer, jiddische Musik und berührende Lieder von KZ-Häftlingen sind zu hören. Nicht immer sind die Hosen an den Darbietungen beteiligt.
Doch es kommen auch Lieder wie das im KZ entstandene Lied „Moorsoldaten“ oder die Interpretation von Erich Kästners Gedicht „Stimmen aus dem Massengrab“. Diese Werke gehören schon seit langem auch zum Repertoire der Band, die immer gegen Rechtsradikalismus gekämpft hat. Doch es entsteht eine ganz andere Eindringlichkeit, wenn die Hosen mit zurückgenommenen Drums und begleitet von Orchesterstreichern leisere Töne anschlagen. Plötzlich rücken damit die Texte mit ihren klaren politischen Botschaften in den Vordergrund.
Campino singt auch das ironische Lied „Einen großen Nazi hat sie“, das der im KZ Dachau getötete Kabarettist Fritz Grünbaum verfasste. Dazu erklärt der Rockmusiker seinem Publikum die Geschichte der Musik und erzählt vom Schicksal der verfolgten und getöteten Komponisten. In Hochform zeigt sich Campino bei den Songs aus der „Dreigroschenoper“ - er hatte schon 2006 in einer Inszenierung von Klaus Maria Brandauer im Berliner Admiralspalast den Mackie Messer gespielt. Anrührend ist das von Linda Hergarten gesungene Schlaflied „Wiegala“, zu dem Kuddel von den Hosen und Mircea Gogoncea leise Gitarre spielen.
Der ganze Schrecken des Nazi-Regimes wird hörbar in Arnold Schönbergs „Ein Überlebender aus Warschau“ - ein Höhepunkt des Konzertabends. Campino musste sich nach Worten Leanders einen Ruck geben, die Rolle des Sprechers in dem Melodram zu übernehmen - und das sicher nicht nur wegen der schwierigen Zwölftonmusik. Zu der Sprechrolle gehört auch der Part des SS-Aufsehers, der mit schneidender Stimme Menschen für die Gaskammer abzählt.
Am Ende des Konzerts spielen die Hosen - weiterhin begleitet vom Orchester - ihre eigenen politischen Songs wie „Willkommen in Deutschland“, „Ballast der Republik“, „Sascha“ oder „Europa“. Nebenbei kann man diese Musik nicht laufen lassen, man muss sich mit ihrer Geschichte auseinandersetzen.