Die Wiederentdeckung des Franz Liszt
Franz Liszt war zu Lebzeiten ein Popstar. Nach seinem Tod vor 125 Jahren verblasste sein Ruhm. Weltweit wird der Ausnahmekünstler und Musikerneuerer derzeit gerade als „Zeitgenosse“ wiederentdeckt.
Weimar/Bayreuth (dpa) - Überdimensionale Notenblätter mit Werken Franz Liszts quellen aus einem Fenster seines einstigen Weimarer Wohnhauses und verteilen sich im nahen Ilmpark. Das Projekt von Bauhaus-Studenten steht symbolisch für das Ziel: „Liszt hinaus in die Welt“.
„Die Zeit war reif, dem Phänomen und großen europäischen Kulturerneuerer, der jenseits aller Nationen und Nationalitäten wirkte, ein weltweites Podium zu schaffen“, sagt Christoph Stölzl, Präsident der Hochschule für Musik „Franz Liszt“. Liszts Klavierwerke erlebten weltweit eine Renaissance, für seine Orchesterwerke wünsche er sich mehr Resonanz, sagt der Kulturpolitiker.
Franz Liszt, vor 200 Jahren im ungarischen Teil des österreichischen Kaiserreichs geboren, prägte rund 30 Jahre das Kulturleben in Weimar. Er starb am 31. Juli 1886 in Bayreuth, wo er die Festspiele unter der Leitung seiner Tochter Cosima Wagner besuchen wollte. Der Ausnahmekünstler wurde auf dem Bayreuther Stadtfriedhof beigesetzt. Bei der Totenmesse spielte Anton Bruckner an der Orgel Motive aus Wagners „Parsifal“.
125 Jahre nach seinem Tod soll an diesem Sonntag mit einem Gedenkgottesdienst in der Schlosskirche Bayreuth an Liszt erinnert werden. Es singt der Chor der Bayreuther Festspiele. Am Nachmittag wollen die Weimarer an der Grabkapelle mit einem Hornständchen des Mannes gedenken, der der Klassikerstadt nach Goethe zu neuer kultureller Blüte verhalf. Im Weimarer Stadtschloss geben Ururenkelin Nike Wagner und der Pianist Rolf-Dieter Arens eine Matinee: Auf dem Programm stehen späte Klavierstücke von Liszt.
„Jetzt ist es mir lieb, zuerst an Weimar zu denken, meinen Fixstern, dessen wohltuende Strahlen meinen weiten Weg beleuchten, (...) an Weimar, das Vaterland des Ideals.“ Dies schrieb Franz Liszt 1846 an den Weimarer Großherzog Carl Alexander, in dem er einen Verbündeten für seine Ideen fand. Zwei Jahre später ließ sich der Klaviervirtuose, Komponist, Pädagoge und Musikvisionär in Weimar nieder. Für drei Jahrzehnte - mit Unterbrechungen - war die kleine Thüringer Residenzstadt der Ort, in dem er zeitweise sein persönliches Glück fand, seine wichtigsten Werke schrieb und seine Visionen in die Tat umzusetzen versuchte.
Sein 200. Geburtstag und sein 125. Todestag in diesem Jahr sind Anlass, den Europäer Liszt zu würdigen und als „Zeitgenossen“ neu zu entdecken. Mehr als 200 Veranstaltungen - Konzerte, Ausstellungen, Tagungen, Projekte - haben allein Weimar und Thüringen auf die Beine gestellt. Bayreuth erinnert mit rund 150 Veranstaltungen an Liszt. Das Verhältnis zwischen Liszt und seinem komponierenden Schwiegersohn Richard Wagner war nicht ungetrübt. Es war kompliziert und von Enttäuschungen und Missstimmungen geprägt.
Das wirke bis in die Gegenwart nach, hatte Weimars Kunstfest- Chefin Nike Wagner kürzlich in einem „Spiegel“-Interview erklärt. Die Urgroßenkelin von Wagner warf ihren Cousinen, den Festspielchefinnen Eva Wagner-Pasquier und Katharina Wagner, vor, das Liszt- Jubiläumsjahr schlichtweg zu ignorieren: „Die Bringschuld der Wagners Liszt gegenüber ist gewaltig. Nur historische Gewissenlosigkeit kann das leugnen.“
„Die Aufgabe kann nicht sein, das Jubiläum abzufeiern“, meint Wolfram Huschke, der als Leiter des Franz-Liszt-Zentrums und Präsident der Deutschen Liszt-Gesellschaft die Gesamtkoordination des Thüringer Projektes in seiner Hand hat. Notwendig sei eine kritische, historisch korrekte Neubewertung seiner Werke, in der der europäische Aspekt besser als vor 50 Jahren gewürdigt werde.
Die Resonanz der bisherigen Veranstaltungen geben Huschke recht. „Wir können insgesamt sehr zufrieden sein.“ Ein „erfrischender und tiefsinniger“ Auftakt mit dem Pianisten und Liszt-Experten Alfred Brendel, Aufführungsprojekte mit Luzern, Bayreuth und Graz, die Sanierung des Liszt-Hauses, eine neue Liszt-Gedächtnis-Orgel in Weimars katholischer Kirche und - als größtes Projekt - die Landesausstellung „Franz Liszt. Ein Europäer in Weimar.“
Die einzigartigen Exponate im Stadtschloss und im Schillermuseum haben seit der Eröffnung vor einem Monat rund 7000 Gäste gesehen, sagte Timm Schulze von der Klassik Stiftung. Das „begehbare Klavier“ im Schlosshof, auf dem immer wieder Besucher in die Tasten greifen, sei ein Magnet vor allem für Kinder und Familien. Das wiedereröffnete Liszt-Haus verdreifachte in etwa seine Besucherzahl. Mehr als 11 500 Menschen kamen seit Ende März in das Haus am Ilmpark, wo der alternde Liszt gewohnt und begabte Nachwuchspianisten unterrichtet hat.
Bis zum 200. Geburtstag des Komponisten am 22. Oktober können Liszt-Fans und Neugierige noch auf manche Überraschung hoffen. Im August will das Weimarer Kunstfest den Zukunftsmusiker Liszt entdecken. Zum Geburtstag könnte ganz Weimar in eine „Lisztomania“ verfallen und es damit den Verehrern zu Lebzeiten des Künstlers gleichtun.
Liszt, der die Frauen liebte, war zeitlebens ein tiefgläubiger Katholik. Hochschul-Präsident Stölzl: „Liszt war auch ein überaus großherziger Mann.“ Er habe fast sein gesamtes Vermögen an politische Flüchtlinge, verfolgte Demokraten und Opfer von Katastrophen verschenkt. „Das war vorher so kaum bekannt.“