Düstere Biografie als Comic im Comic

Reinhard Kleist erzählt das Leben von Nick Cave als Epos in Schwarz und Weiß mit vielen Rückblenden und Zeitsprüngen.

Das schönste Bild befindet sich auf Seite 98. Es zeigt den Musiker Nick Cave, wie er seine spätere Muse Anita Lane kennenlernt. Die beiden spazieren Arm in Arm durch die Nacht, immer weiter, bis sie den Boden unter den Füßen verlieren und die Welt um sie herum Kopf steht. Es gibt nicht viele Bilder in „Nick Cave — Mercy On Me“, der neuen Graphic Novel von Reinhard Kleist, die so romantisch, beinahe zärtlich anmuten, im Gegenteil. Das meiste ist ziemlich düster.

Kleist zeichnet expressiv in Schwarz und Weiß, als ginge es um Leben und Tod. Zwei Musikerbiografien gehen bereits auf sein Konto: „Cash — I See A Darkness“ (2006) und „Elvis — Die Illustrierte Biografie“ (2007). Nick Cave, der am 22. September 60 Jahre alt wird, hätte ihn fast zur Verzweiflung gebracht. In den Neunzigern war Kleist Fan, verlor den Musiker später aber aus den Augen. Ursprünglich wollte er dessen Lebensgeschichte chronologisch erzählen, doch Kleist musste sich von der Idee verabschieden, um der Legende, dem Mythos gerecht zu werden. Nun lässt er sich von der Caveschen Erzählkunst leiten — und die ist alles andere als linear.

Auf 328 Seiten geht es filmisch zur Sache: Es gibt Rückblenden, Zeitsprünge und Überblendungen, manchmal sind ganze Songtexte wie ein Musikvideo illustriert. Der eigentliche Clou besteht allerdings darin, dass er den Musiker, Dichter, Schriftsteller und Drehbuchautor Cave auf seine eigenen Figuren treffen lässt. „Mercy On Me“ ist keine leichte Kost. Das Buch ist ikonenhaft und kunstvoll arrangiert — und wirkt durch die Ebenen wie ein Comic im Comic. Gleichzeitig kommt Kleist dem Menschen vermutlich näher als zu erwarten war.

Cave selbst spricht von einem „beängstigenden Husarenstück aus Cave-Songs, historischen Halbwahrheiten und herrlichen Hirngespinsten“. Kleist erzählt, wie ein schlaksiger Junge aus Warracknabeal (Australien) zur Legende wird. Wie er vom Punk zum Blues findet, wie er nach London flüchtet und später nach Berlin, wo er Blixa Bargeld von den Einstürzenden Neubauten kennenlernt. Er erzählt vom Heroin und davon, dass Cave fast verrückt geworden wäre. Das größte Problem aber ist die Musik. Kleist kleidet sie in teils dramatische Bilder, zum Beispiel, wenn Cave seinem Publikum mit der Musik die Köpfe abschlägt. Doch viele der Songs, die in dem Buch zitiert werden, sind nicht sehr bekannt. Man hat keine Melodie im Ohr, keine Bilder im Kopf, die man mit denen Kleists abgleichen könnte.