„Fast Normal“: Musical-Premiere in Hamburg

Hamburg (dpa) - Die Bühne ist in bläuliches Licht getaucht, die Ausstattung schlicht: Vier Stühle und eine riesige quadratische Box stehen auf der weiß gehaltenen Fläche.

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Es ist nachts um vier Uhr und Mutter Diana (Carolin Fortenbacher) wandert im Schlafanzug auf und ab, streicht sich mit fahrigen Händen durchs wirre Haar. Sie kann nicht schlafen, macht sich Sorgen. Dann am Morgen schmiert sie Brote für ihre beiden Kinder - nicht auf dem Tisch, sondern ordnet die Toastscheiben auf dem Boden, schiebt sie hin und her, immer mehr Toasts stapeln sich. So langsam wird klar, irgendetwas stimmt nicht in der Familie Goodman, die sich verzweifelt um Normalität bemüht.

Unter minutenlangem Beifall haben die Hamburger Kammerspiele mit dem Rock-Musical „Fast Normal“ am Sonntag ihre neue Spielzeit eröffnet. Das in den USA preisgekrönte Stück, in der Originalfassung „Next to normal“, wurde 2008 am New Yorker Broadway uraufgeführt und erhielt den Pulitzer Preis für Drama sowie drei Tony Awards. Gesangstext und Buch stammen von Brian Yorkey, Tom Kitt hat die Musik komponiert.

Buch und Texte sind von Titus Hoffmann in klarer Sprache ins Deutsche übertragen worden. 2013 fand die deutschsprachige Erstaufführung des Musicals in Fürth statt, nach verschiedenen Stationen in Deutschland führt an den Hamburger Kammerspielen nun Harald Weiler Regie.

Himmelhoch jauchzend und zu Tode betrübt: Seit 16 Jahren leidet Mutter Diana an einer bipolaren Störung. Nie hat sie den Tod des Sohnes im Säuglingsalter überwunden. Der in weiß gekleidete Sohn Gabe (Elias Krischke), dessen Name erst zum Schluss bekannt wird, ist tot. Aber für Diana ist er aufgewachsen, beherrscht weiterhin, jetzt als Jugendlicher, ihr Leben, ihre Gedanken, er schwebt über der Familie und macht die Tochter Natalie (Alice Hanimyan) fast unsichtbar, die sich so nach der Aufmerksamkeit ihrer Eltern sehnt. Familienvater Dan (Robin Brosch) versucht seine Frau zu verstehen, stößt dabei jedoch an seine Grenzen.

Die Handlung könnte dem Klischee vom oberflächlichen Musical nicht ferner liegen: Es geht um Trauer und Verlust, um Medikamente und Depressionen - und das alles mit Musik und sogar Humor. Und es funktioniert. Der Reiz von „Fast Normal“ liegt in der Ernsthaftigkeit des Themas, doch in jeder Tragik liegt auch Komik. Das Musical gibt Platz für stille und berührende Momente und dennoch lassen das Libretto und die rockige Musik Raum für befreites Lachen.

Der Humor ist fein eingearbeitet. Zum Beispiel wenn Dianas Psychiater (Tim Grobe) ihr die Myriade an verschiedenen Pillen erklärt, die sie jeden Morgen einnehmen muss und damit den Irrsinn thematisiert: Die blauen Pillen nicht zusammen mit den gelben und die gelben Pillen auf gar keinen Fall zusammen mit den trapezförmig grünen. Es wird über Nebenwirkungen gesungen. Wenn Diana erklärt, dass sie nun gar nichts mehr spüre, meint der Arzt nur: „Patient stabil“.

Für die stillen Momente in Pianissimo, die in dramatische Schrei-Höhen steigen können, sorgt im sechsköpfigem Ensemble vor allem der stimmgewaltige Musical-Star Carolin Fortenbacher, der einem breiten Publikum aus dem ABBA-Musical „Mamma Mia!“ am Hamburger Operettenhaus bekannt ist. Für Weiler und Fortenbacher ist es die zweite gemeinsame Musicalproduktion nach „Das Orangenmädchen“ in Altona.

Die fünfköpfige Live-Band überzeugt durch rockige Töne und Schwung, sie treibt das Stück an, der Gesang dominiert, manchmal in fordernden Duett- und Kanoneinlagen. Dem Premierenpublikum gefiel’s, es spendete langen Applaus. Das rund zweistündige Musical bleibt bis zum 9. Oktober auf dem Spielplan der Hamburger Kammerspiele.