Folkrock meets Soul: Cass McCombs' Meisterstück
Berlin (dpa) - Bisher war der Name Cass McCombs eher was für Eingeweihte - die freilich oft nicht genau wussten, was sie mit dem US-Amerikaner anfangen sollten. Das dürfte sich mit seinem neuen Album ändern: „Mangy Love“ ist große Songschreiber-Kunst.
Ein Meisterwerk also - sein erstes. Denn McCombs' bislang sieben Studioalben seit 2003 waren zwar beachtliche Talentproben, aber eben auch „patchy“, also zwischen (viel) Licht und (einigem) Schatten hin und her schwankend.
Auf jeder Platte fanden sich feine Indie-Folk-Perlen (besonders hoch war die Trefferquote auf „Dropping The Writ“ von 2008). Direkt daneben aber eben auch manch Unausgegorenes, Sprödes, Fragmentarisches. Der Vorgänger „Big Wheel And Others“ (2013) etwa war ein (über)ambitioniertes Doppelalbum, bei dem man sich wünschte, McCombs hätte die 22 Songs auf die Hälfte zu einer tatsächlich herausragenden Platte verdichtet.
Nun also „Mangy Love“, was soviel heißt wie schäbige, räudige oder eklige Liebe - der Songwriter bleibt einer, der Klischees gern gegen den Strich bürstet, seine oft bissigen, manchmal politisch expliziten Texte zeigen das ebenfalls. Musikalisch aber ist hier einiges anders.
Fürs erste Album beim tollen Indie-Label Anti (nach vielen Jahren bei 4AD und Domino) hat sich der 38-Jährige offenkundig viel vorgenommen und manche Kanten gerundet - was in seinem Fall eine gute Nachricht ist.
Die Produktion von Studioveteran Rob Schnapf ist endlich raumgreifend und professionell, die weit nach vorn gemischten Gitarren (unter anderem vom famosen Blake Mills) sägen und singen abwechselnd ganz prächtig. McCombs' früher oft recht dünne Stimme brilliert zwischen zartem Falsett und sanft-sonorem Bariton.
Das Wichtigste: Die einst eher zurückhaltenden Songs atmen jetzt jede Menge Selbstbewusstsein, und sie leben diesmal von Grooves, die an den luxuriösen 70er-Jahre-Sound von Steely Dan („Bum Bum Bum“, „Opposite House“) oder an die Talking Heads in ihrer Funk- und Afrobeat-Phase erinnern („Run Sister Run“, „In A Chinese Alley“, „Switch“). Psychedelischer Folk-Jazz à la Grateful Dead („Low Flyin' Bird“, „It“), Punk-Blues („Rancid Girl“), Indierock und - neu! - ganz viel Soul im Stil eines Marvin Gaye oder Al Green verschmelzen auf „Mangy Love“ in ungeahnter Perfektion.
Dass McCombs weiterhin wunderbar luftige, träge dahinfließende Westcoast-Pop-Balladen drauf hat, beweist er mit „Laughter Is The Best Medicine“, „Medusa's Outhouse“ und dem abschließenden sechsminütigen „I'm A Shoe“. So deckt dieses Album ein so breites Spektrum ab wie wohl nur wenige Singer-Songwriter-Werke dieses Jahres.
Nach fast 15 Jahren erfüllt McCombs, der im Frühling überdies zusammen mit Gitarren-Maestro Neal Casal ein bärenstarkes Bandalbum unter dem Namen The Skiffle Players herausgebracht hatte, endlich die hohen Erwartungen. Und doch bleibt der Kalifornier eine sperrige, rätselhafte Persönlichkeit.
„Ich bin kein netter Mensch, überhaupt nicht. Dafür bin ich nicht gerade bekannt, weder bei meinen Freunden noch sonst wo“, sagte er kürzlich dem britischen Musikmagazin „Uncut“, das ihn als einen der großen Songwriter unserer Zeit vorstellte. Vielleicht leistet sich McCombs deshalb zu einer Platte voller lässiger, rhythmisch anspruchsvoller, gelegentlich auch sonniger Songs ein unansehnliches Albumcover mit muffeligem Selbstporträt.
Cass McCombs kommt am 4. November zu einem einzigen Deutschland-Konzert in Berlin (Kantine am Berghain).