Folkrock mit vielen Facetten
Berlin (dpa) - My Morning Jacket fügen diesmal alle Elemente ihres Sounds kompakt zusammen, Other Lives ufern weiter aus, die Great Lake Swimmers blühen auf: Drei Folkrock-Bands aus den USA und Kanada mit interessanten neuen Alben.
Am bekanntesten sind wohl MY MORNING JACKET, das vor 17 Jahren gegründete Langzeitprojekt des Sängers und Gitarristen Jim James. Mit ihren jüngsten regulären Studioplatten „Evil Urges“ (2008) und „Circuital“ (2011) gelangte die Band jeweils in die Top Ten der US-Billboard-Charts. „The Waterfall“ (ATO/Pias) könnte diesen Erfolgsweg durchaus fortsetzen. Umfasst das siebte Studioalbum des US-Quintetts doch alle Facetten des MMJ-Sounds in exakt 48 Minuten, quasi wie eine Best-of-Kompilation mit neuen Liedern.
Das diesmal unter anderem in Kalifornien aufgenommene Werk fügt den üblichen Folk-, Rock- und Soul-Klangfarben eine ordentliche Portion Westcoast-Pop im 70er-Jahre-Stil hinzu - gut nachzuhören etwa im Titelsong oder in „Compound Fracture“, die wie Überbleibsel der „Rumours“-Sessions von Fleetwood Mac klingen. Die Produktionskünste von Tucker Martine - warme Gitarren und Bässe, pochende Drums, dezente Keyboards - ergänzen sich wieder perfekt mit James' schwereloser Stimme. Ein Album ohne Schwachpunkte, vielleicht etwas zu routiniert für diese hoch veranlagte Band, aber insgesamt eine ihrer besten Leistungen.
Grenzüberschreitenden Indie-Folk für Radiohead-Fans und andere Schlaumeier perfektionieren OTHER LIVES auf ihrem neuen Album „Rituals“ (Pias/Rough Trade). Schon „Tamer Animals“ (2011) hielt sich nicht lange mit Schubladendenken auf und vereinte den Sound von The National oder Fleet Foxes mit orchestralen Arrangements und dem Einfluss von Morricone-Scores. Die Nachfolge-Platte des aus Oklahoma stammenden, inzwischen in der Indierock-Metropole Portland/Oregon angelangten Trios ufert nun noch weiter aus - in Richtung Prog-Rock, Dream-Pop und Neoklassik.
Im proppevollen Berliner Other-Lives-Konzert war kürzlich viel Euphorie ob dieser gewagten Mixtur zu spüren. Wenngleich - oder gerade weil - die Band mit komplizierten Liedern wie „Fair Weather“ oder „Beat Primal“ garantiert „nie ins Radio“ kommen dürfte, wie es ein Fan beschrieb. Die imposante Falsettstimme von Frontmann Jesse Tabish fasziniert aber auch in den zerklüftetsten Songs, und die Virtuosität dieser ins Sinfonische wuchernden Musik fegt letzte Bedenken beiseite. Folkrock für Leute, die ansonsten auch gern Steven Wilson und Porcupine Tree hören.
Wer beim neuen Album von Mumford & Sons das charakteristische Banjo vermisst oder die Songs dieser britischen Folkpop-Megaband ohnehin arg belanglos findet, der sollte es mal mit der sechsten Platte der kanadischen GREAT LAKE SWIMMERS versuchen. Denn das kanadische Quintett um Sänger/Gitarrist Tony Dekker bewegt sich mit „A Forest Of Arms“ (Nettwerk/Soulfood) aus der bequemen Folkie-Nische und klingt hier muskulöser und zugänglicher, ohne die Qualität seiner bildhübschen Melodien zu vernachlässigen.
Mehr Dynamik, mehr Rhythmus, mehr Temperament (teilweise gar in Calexico-Nähe), Miranda Mulhollands putzmuntere Geige und Erik Arnesens Banjo ergeben eine sehr gelungene Americana-Scheibe. Dekkers helle, etwas dünne Stimme kann zwar mit den kraftvollen Vocals der Frontmänner von My Morning Jacket und Other Lives nicht mithalten, aber sie passt sich dem unangestrengten Folkpop der Great Lake Swimmers optimal an. Fazit: Mit „A Forest Of Arms“ liefert die sympathische Band aus Toronto zwölf Jahre nach dem selbstbetitelten Debüt ihr bislang rundestes, reifstes Werk ab.
Konzerte My Morning Jacket: 02.09. Köln, Gloria; 13.09. Berlin, Lollapalooza Festival