Frank Ocean: Mal endlich einer mit viel Gefühl
Frank Ocean ist ein Star der Zukunft. Auf seinem Debüt verhilft er dem zur Karikatur verkommenen Genre R’n’B zu neuem Leben.
Düsseldorf. Der Schulabschluss lag hinter ihm, das örtliche College war gebucht. Doch das Schicksal hatte andere Pläne für Christopher Breaux. 2005 suchte Hurricane Katrina seine Heimatstadt New Orleans heim und machte einen Strich durch alle bisherigen Pläne. Breaux ging nach Los Angeles, für einige Wochen, wie er damals noch dachte. Doch schon bald wurde aus der Zwischenlösung eine dauerhafte Umorientierung.
Der 24-Jährige, der im Hause seiner Eltern früh mit Jazz und Soul in Berührung gekommen war, fand schnell musikalische Mitstreiter und begann fieberhaft an eigenen Stücken zu arbeiten. Die Freundschaft zu Rapper Tyler The Creator stellte sich dabei als wichtiger Antrieb für seine Karriere heraus.
Ab 2009 war er Teil des Hip-Hop-Kollektivs Odd Future, das mit Stilvielfalt und offensivem Lausbubenwitz in den USA zur neuen Hoffnung des Rap avancierte. Breaux legte sich das Pseudonym Frank Ocean zu. Im Verbund mit anderen jungen Künstlern entstand das erste Album „nostalgia ULTRA“, das nach Differenzen mit dem Label Def Jam schließlich Anfang 2011 gratis im Netz veröffentlicht wurde.
Erste Fans ließen nicht lange auf sich warten. Selbst die Stars Jay-Z und Kanye West luden das Nachwuchstalent für eine Zusammenarbeit auf ihrem gemeinsamen Erfolgsalbum „Watch The Throne“ (2011) ein. Während es künstlerisch steil bergauf ging, entwickelte sich auch der Mensch Christopher Breaux. Das Jahr 2010 brachte eine einschneidende Entscheidung: Breaux änderte seinen Namen offiziell in Christopher Francis Ocean und schuf sich so eine Identität, die er nach seinen eigenen Erfahrungen entwickelt hatte. Ein Schritt, der weit mehr beinhaltet als nur das Kreieren einer Kunstfigur.
In der Musik von Frank Ocean spiegeln sich persönliche Erlebnisse und private Gedanken. In Interviews unterstreicht der Künstler regelmäßig, dass es ihm bei seinen Liedern vor allem darum gehe, ein Ventil für eigene Emotionen zu finden und er selbst der erste Adressat seiner Musik sei. Dennoch handelt es sich bei den bisherigen Veröffentlichungen keineswegs um die Nabelschau eines Egozentrikers.
Stattdessen lässt Ocean auf dem neuen Album „channel ORANGE“ in Stücken wie „Bad Religion“ oder „Forrest Gump“ tief ins eigene Gefühlsleben blicken und bietet so die Möglichkeit zu ehrlicher Empathie. Auch abseits der Musik mangelt es nicht an Belegen für Glaubwürdigkeit. Anfang Juli dieses Jahres veröffentlichte Ocean in seinem Blog einen offenen Brief, in dem er die kurzlebige Beziehung zu einem jungen Mann als seine erste Liebe beschrieb.
In Musikwelt und Presse wurde dies als mutiges Statement anerkannt, Kollegen wie Jay-Z brachten ihre Unterstützung zum Ausdruck. Es sich im rauen, nicht selten von Machotum geprägten Klima des Mainstream-Hip-Hop und -R’n’B zu trauen, die eigene Sexualität offenzulegen, stellt eine besondere Leistung dar.
Es ist diese Art, durch Offenheit und Selbstreflexion die üblichen Klischees des Genres selbstbewusst zu überwinden, die Frank Ocean aus der Masse moderner R’n’B-Acts herausstechen lässt. Mit chauvinistischer Attitüde oder simpler Partystimmung gibt sich der junge Musiker nicht zufrieden und zielt mit seinen Produktionen trotzdem sehr direkt auf ein möglichst großes Publikum.
Aus reduzierten Bässen, zahlreichen Synthesizer-Effekten sowie einem groovenden Schlagzeug erschafft Ocean eine harmonische Mischung aus Soul, Pop und Hip-Hop. Ein Klang, der neue Ideen ins Radio bringt, ohne alten Hörgewohnheiten zu sehr auf die Füße zu treten. Entsprechend überschlagen sich gegenwärtig Medien von BBC und „New York Times“ bis „Rolling Stone“ in ihren Lobpreisungen.
Nach erfolgreichen Auftragsarbeiten für Künstler wie Justin Bieber, John Legend und Beyoncé scheint endgültig die Zeit gekommen, in der Frank Ocean seinen eigenen Namen auf den Titelseiten lesen kann.