Gestern noch Göre, heute schon Diva

Seit Lena Meyer-Landrut hat die Britin Kate Nash auch in Deutschland einen hohen Bekanntheitsgrad. Das könnte der Veröffentlichung ihres zweiten Albums guttun.

London. Das hätte sich Kate Nash wahrscheinlich auch nicht träumen lassen, dass sie einmal zum Erfolgsgaranten einer Casting-Show-Kandidatin wird. Normalerweise schmettern die jungen Möchtegern-Pop- und Superstars getragenen Balladen-Pathos von Mariah Carey, Whitney Houston oder Beyoncé. Lena Meyer-Landrut, das neue deutsche Fräuleinwunder, das uns beim Eurovision Song Contest in Oslo vertreten wird, verweigerte sich diesem Säuselsoul-Gleichschritt konsequent. Stattdessen sang sie kleine, spleenige und der Masse eher unbekannte Pop-Perlen von Paolo Nutini, Lisa Mitchell - und eben Kate Nash. Die verschlungenen und verspielten Songs der mittlerweile 22-jährigen Britin passten perfekt zu Meyer-Landruts charmant unausgegorenem Tanzstil und ihrer leicht rotzigen Interpretation.

Über den Umweg der von Stefan Raab initiierten Talentshow kommt Miss Nash in Deutschland dann doch noch zu etwas verspäteten Ehren. Der Zeitpunkt ist denkbar günstig: Ihr zweites Album steht kurz vor der Veröffentlichung. Allerdings dürfte die Londonerin es hierzulande trotz aller Gratis-PR weiter schwer haben. Die angenehme Unbekümmertheit ihres Debüts von 2007 ist auf dem Nachfolger einem leicht verkrampften Drang gewichen, erwachsen klingen zu wollen.

Verantwortlich für den zur Schau gestellten Reifeprozess ist die Liebe. Seit drei Jahren ist Nash bereits mit Ryan Jarman liiert, dem Frontmann der ebenfalls recht renommierten Alternative-Band The Cribs. Der Siebte Himmel hat seine Spuren hinterlassen: Fast jeder der 13 neuen Songs dreht sich um tiefgreifende Zukunftsplanung (zu zweit, versteht sich) und bedingungslose Hingabe an den Partner. Dazu passend der Titel des Albums: "My Best Friend Is You" (zu Deutsch: Mein bester Freund bist Du).

Nicht nur inhaltlich, auch musikalisch soll jeder merken, dass Kate Nash nicht mehr die kleine verstrahlte Göre ist, die sie gefühlt bis eben noch war. Die mit dem Schreiben von Songs nur deswegen angefangen hat, weil sie sich an dem Tag, an dem sie für die Schauspielschule vorsprach, den Knöchel brach und die Mutter dem rekonvaleszenten Häufchen Elend als Trost eine Gitarre schenkte. Die ihre ersten Songs auf ihre MySpace-Seite knallte und damit eine ungeahnte Welle der Begeisterung auslöste. Und die im Juni gerade mal zarte 23 Jahre alt wird, also eigentlich zu jung, um einen vertonten Partnerschaftsratgeber herauszubringen.

Immerhin, und das ist die gute Nachricht, vertraute sich Nash für die Bearbeitung ihrer neuen Songs jemandem an, der in den vergangenen Jahren mit der atmosphärischen Veredelung von eleganten Pop-Hymnen ein glückliches Händchen bewies: An den Reglern im Studio saß Bernard Butler, den Britpop-Fans noch als androgynen Gitarristen von Suede kennen, der seinen musikalischen Durchbruch aber vor allem als künstlerischer Kopf hinter Duffys Multi-Platin-Album "Rockferry" (2008) feierte. Er motzte die 13 Tracks mit viel Hall und Geklimper im Sinne des 60er-Jahre-Motown-Sounds auf. Meistens stilvoll, manchmal etwas zu gestelzt.

Prinzipiell ist eine Weiterentwicklung bei jungen Pop-Künstlern löblich. Und einfach nur die direkte Unverblümtheit von Nashs Debüt "Made of Bricks" abzukupfern, wäre wahrscheinlich auch ziemlich anstrengend für den geneigten Hörer geworden. So ganz will man der jungen Frau aus dem Londoner Stadtteil Harrow den Reifeprozess von der bunt verdrehten Raupe zum mondänen Pfauenauge aber nicht abnehmen. Es fehlt die Authentizität, also genau das, was die Briten an Kate Nash vor drei Jahren so sehr ins Herz schlossen, dass der damalige Jungstar 2008 bereits den heiß begehrten Brit Award als "Beste Künstlerin des Jahres" mit nach Hause nehmen konnte.

Deswegen wird es auch im zweiten Anlauf für Kate Nash hierzulande schwer werden. Zumal Deutschland mit Lena Meyer-Landrut ja zurzeit eine eigene kleine Pop-Königin hat, die mit verquerem Charme und unverstellter Direktheit punktet. Wer braucht da schon das Original von der Insel?