Halbrund geschmiedeter Ring
Das Festspiel-Publikum feiert Dirigent Kirill Petrenko und buht Regisseur Frank Castorf gnadenlos aus. Er provoziert mit Gesten.
Bayreuth. Beifall, Jubel, zustimmendes Fußgetrappel für den Dirigenten Kirill Petrenko nach dem letzten Akt „Götterdämmerung“, dem Schlussdrama des Vierteilers „Der Ring des Nibelungen“ im Bayreuther Festspielhaus. Ein Buh-Orkan weht dagegen dem Regisseur Frank Castorf und seinem Bühnenbild-Team entgegen. Der an Publikumszorn gewöhnte Castorf gibt sich gelassen, ja bleibt minutenlang wie angewurzelt stehen, als wolle er eine Dusche nehmen. Er lächelt dabei spöttisch, schaut zuweilen auf die Uhr, weist belehrend mit beiden Zeigefingern auf seinen Kopf als wolle er sagen: „Lieber mal nachdenken, ihr Wagner-Narren!“
Auf die Idee, dass die Buhrufer so verärgert sind, gerade weil sie nachgedacht haben, scheint Castorf nicht zu kommen. Offenbar unterschätzt er Leute, die zehn Jahre auf ihre Bayreuth-Karte warteten, um zu nicht gerade geringen Eintrittspreisen rund 16 Stunden im unklimatisierten Festspielhaus auszuharren. Fataler noch: Castorf unterschätzt Wagners „Ring“ und seine musikdramatische Komplexität. Für die Klang-Regie des Komponisten, der die Texte selber dichtete und mit Leitmotiven eindringliche Querverweise auf Vergangenes und Zukünftiges im Stück einbaute, findet Castorf keine Bilder.
Stattdessen erzählt er seine eigene Geschichte. Die unermüdlich kreisende Drehbühne lässt die Gegenwelten Kapitalismus und Kommunismus rotieren. Siegfried klettert im Mount Rushmore einher, wo anstelle der Präsidentenportraits die Köpfe von Marx, Lenin, Stalin und Mao eingemeißelt sind. Auf der Bühnen-Kehrseite liegt Berlins Alexanderplatz, dekoriert mit Symbolen von vor und nach der Wende. Dort treffen beispielsweise Wotan und Erda zusammen und streiten sich bei Spaghetti und Rotwein auf den Terrassenstühlen einer Trattoria. Hier singen auch Siegfried und Brünnhilde ihr Liebesduett, derweil sich zwei Krokodiele anschleichen und sich den Waldvogel sowie einen Sonnenschirm einverleiben.
Die „Götterdämmerung“ spielt teils vor einer Döner-Bude, teils vor einem DDR-Betrieb mit der Leuchtschrift „Plaste und Elaste“. Zum Schluss taucht noch die New Yorker Börse auf. Auf oberflächliche Weise inszeniert Castorf hier einen Aspekt des „Rings“: Wagners Kapitalismus-Kritik. Da in dem Werk aber viel mehr Grundsätzliches und Allgemeingültiges steckt, greifen die Regieeinfälle zu kurz. Das Werk schrumpft zusammen, der Horizont verengt sich. Zudem kommt Castorfs Personenregie über öde Gesten nicht hinaus. Manche Figuren lässt er immer dann munter werden, wenn sie im Stück eigentlich gar nicht dran sind. Heraus kommt eine grelle, aber langweilige Inszenierung der Nebenkriegsschauplätze.
Dass die Abende kein Desaster werden ist vor allem der Glanzleistung des Dirigenten und des brillanten Bayreuther Festspielorchesters zu verdanken. Aus dem Orchestergraben dringen all die Feinheiten, die auf der Bühne fehlen. Petrenko lässt ein ungemein transparentes, luzides Klangbild entstehen. Trotz straffer Tempi geht kein musikalisches Detail unter. Dadurch entsteht eine enorme Sogkraft, die den Hörer machtvoll in Bann zieht.
Die von Castorf unvorteilhaft geführten und teils lächerlich kostümierten Sänger können derweil nur teilweise überzeugen. Heldentenor Lance Ryan singt den Siegfried zwar mit jugendlichem Übermut, doch leider stimmlich etwas eng und eindimensional. Wolfgang Koch als Wanderer findet indes zu der passenden Mischung aus Würde und Dämonie. Und die hochdramatische Sopranistin Catherine Foster, die sich in der „Walküre“ noch etwas geschont hatte, läuft in „Siegfried“ und „Götterdämmerung“ zur Hochform auf. Sie besitzt neben ihrem kraftvollen Sopran noch stimmliche Wärme, die Brünnhildes Schlussgesang bronzen leuchten lässt. So richtig genießen kann man das alles nicht, da Castorfs amusische Regie das Gesamtkunstwerk beschädigt.