Harry Belafonte erzählt aus seinem Leben
Köln (dpa) - Harry Belafonte spricht leise, und doch hört man seine Stimme schon von weitem. Sie klingt durch das Gemurmel des Bürotrakts, weil sie anders ist: heiser und herb, und doch so voluminös, als wäre sie elektronisch verstärkt.
Nun richtet er sich erstmals an seine Fans, ohne dabei auf diese Stimme zu setzen. Harry Belafonte hat ein Buch geschrieben - seine Memoiren.
An diesem Mittwoch hat er in Köln die deutsche Übersetzung vorgestellt, im Büro seines Verlegers Helge Malchow von Kiepenheuer & Witsch. Er kommt am Stock, aber die Haltung ist noch immer stolz und gerade. Dass er keinesfalls wie ein 85-Jähriger wirkt, hat mit seinem jungenhaften Gesicht zu tun, das aus einer heiteren Grundstimmung heraus immerfort zu lächeln scheint. So ansteckend, dass man gar nicht anders kann als zurücklächeln.
Er setzt sich an einen Tisch und schlägt mit den Händen auf die Platte, so dass die versammelten Journalisten kurz zusammenzucken. Er lacht. Auf seinen blankrasierten Schädel scheint die Sonne. Hoch „Harry“ bestimmt die deutsche Großwetterlage.
Die Lebensgeschichte Harry Belafontes ist die Geschichte Amerikas im 20. Jahrhundert. 1927 in Harlem geboren, diente er im Zweiten Weltkrieg in der US Navy und besuchte danach in New York die legendäre Schauspielschule des emigrierten deutschen Regisseurs Erwin Piscator. Schon wenige Jahre später wurde er mit Calypso-Songs wie „Island In The Sun“ weltberühmt.
Alle Großen aus der goldenen Zeit des amerikanischen Showgeschäfts hat er gekannt: Marilyn Monroe, Frank Sinatra, Sammy Davis Jr., Marlon Brando... Doch in seinem Buch geht es gar nicht in erster Linie um Glanz und Glamour. Er hat es geschrieben, so sagt er, weil amerikanische Kinder heute auf der Schule viel zu wenig über den Kampf gegen die Rassentrennung lernten. Einen Kampf, den er an vorderster Front miterlebt hat.
Wenn man mit Belafonte über die heutige politische Situation in Amerika spricht, dann vergleicht er sie sofort mit den Zuständen vor 40 oder 50 Jahren. Mit Barack Obama ist er unzufrieden - der demokratische Präsident müsste nach seiner Meinung viel mehr für die Armen tun. Doch obwohl Obama inzwischen mehr als drei Jahre im Amt ist, hegt Belafonte die Hoffnung, dass er seine Politik noch einmal radikal verändern wird. Ist das nicht naiv?
„Wir glauben, dass wir ihn dazu kriegen können, weil wir das Gleiche bei John F. Kennedy geschafft haben“, sagt er. „Als Kennedy ins Amt kam, haben wir uns anfangs auch nicht gerade große Hoffnungen gemacht. Anstatt uns einfach damit abzufinden, haben wir ihn gedrängt und gedrängt - und am Ende Erfolg gehabt.“ Von Martin Luther King habe er gelernt, dass man unermüdlich den Dialog mit den Mächtigen suchen und an ihr Gewissen appellieren müsse.
Von den Deutschen sagt Belafonte, dass sie seine größten Fans seien. „Ich bin mir nicht sicher, ob ich die Gründe dafür wirklich durchschaue.“ Sein erster Besuch in Deutschland hat sich ihm eingebrannt - es war 1958. Er wollte gar nicht kommen - die Erinnerung an den Krieg war noch frisch. Aber schließlich flog er doch. Noch heute kann er genau erzählen, wie grau und abweisend Berlin damals wirkte - noch immer war es in Teilen eine Ruinenstadt. Mit einem mulmigen Gefühl begann er seinen Auftritt, zu dem auch das hebräische Lied „Hava Nageela“ gehörte. Es dauerte nicht lange, und das Publikum sang mit.
„War das nicht seltsam?“, schreibt er in seiner Autobiografie. „Ein deutsches Publikum, das voller Begeisterung ein jüdisches Volkslied sang? Nur 13 Jahre nach dem Krieg?“ Natürlich sei ihm klar gewesen, dass er für die West-Berliner damals in erster Linie die dringend benötigte Solidarität der Amerikaner verkörpert habe. Dennoch sei es ein Schlüsselerlebnis gewesen, das seine Sicht auf Deutschland dauerhaft verändert habe: „Die Dankbarkeit - die Liebe und Herzlichkeit -, die mir von diesem deutschen Publikum entgegengebracht wurde, zählt zu den schönsten Erinnerungen meiner Karriere.“