Heraus aus dem langen Schatten
Elektro: Seit dem hoch gelobten Szene-Film „Berlin Calling“ sprechen alle von Paul Kalkbrenner. Dabei ist sein Bruder Fritz der bessere Musiker.
Entweder ist es Segen oder Fluch. Genau kann man das bei Fritz Kalkbrenner nicht sagen. Entweder man sieht es so, dass der Song, den er mit seinem Bruder Paul schrieb und der zu einem der beliebtesten Elektro-Stücke der vergangenen zwei Jahre avancierte, seiner musikalischen Karriere den nötigen Kick gab. Oder man muss es so verstehen, dass er nur der kleine Bruder war, der mal mit ins Studio durfte, um ein paar Zeilen einzusingen, die sich dann später zu einem starken Song entwickelten.
Gemeinsam mit seinem Bruder Paul produzierte Fritz Kalkbrenner vor zwei Jahren den Song „Sky and Sand“. In Clubs meist zur frühen Morgenstunde gespielt, lockt er auch den letzten Tanzmuffel aufs Parkett und hält müde Partygänger davon ab, sich schon auf den Weg nach Hause zu machen. Es ist ein Gute-Laune-Stück mit melancholischer Anmutung. Fritz ist die Stimme zum Song.
Ursprünglich war „Sky and Sand“ nur als Titelsong zum Film „Berlin Calling“ (2008) des schwäbischen Regisseurs Hannes Stöhr gedacht. Bruder Paul spielt darin die Hauptrolle, einen drogenabhängigen DJ, der nach einer Überdosis Ecstasy eine schwere Psychose durchlebt und in der Nervenklinik landet.
Der Film wurde in den höchsten Tönen gelobt, lief auf internationalen Filmfestivals, etwa in Rejkjavik, Tokio, Paris. Ruhm und Ehre bekam aber vor allem einer: Paul, der große Bruder. Fritz Kalkbrenner hat im Film nur einen sehr kurzen Auftritt. „Der Rest ist leider der Schere zum Opfer gefallen“, wie er selbst sagt. „Wer mich vorher kannte, wird mich entdecken. Wer nicht weiß, wie ich aussehe oder wer ich bin, der wird spurlos an mir vorbei gegangen sein. Aber das ist nicht weiter tragisch.“
Er stand also schon immer im Schatten des großen Paul, wurde auf den einen Song reduziert. „Es gibt weder Neid noch Missgunst. Ich freue mich für ihn und habe überhaupt kein Problem damit“, sagte Fritz Kalkbrenner mal in einem Interview. Während Paul durch die Welt tourte, in Städten wie Lyon, Nizza und Istanbul auflegte, versuchte Fritz sich abzunabeln und sein eigenes musikalisches Standbein aufzubauen.
Aufgewachsen ist Kalkbrenner im grauen Osten Berlins. Zunächst war er eher im HipHop zuhause, war beeindruckt von KRS-ONE oder dem Wu-Tang Clan. Als er mit 16 zum ersten Mal in einem Berliner Club mit Techno in Berührung kam, ließ ihn diese Musik nicht mehr los. Drei Jahre später brach er die Schule ab, arbeitete zunächst als Musikjournalist. Zu seinen Auftraggebern gehörten unter anderem MTV, der Mitteldeutsche Rundfunk und die Deutsche Welle.
Nebenbei machte er immer Musik. So trat er bereits mit einigen kleinen Gastauftritten als Sänger in Erscheinung. 2003 sang er beispielsweise auf dem Debütalbum „Bravo“ des DJs Sascha Funke den Titel „Forms And Shapes“. Die beiden kannten sich bereits aus ihrer Jugend. Funke lebte damals mit Fritz’ Bruder Paul in einer Wohngemeinschaft. Außerdem arbeitete der kleine Kalkbrenner mit Produzenten wie Monika Kruse oder Alexander Kowalski zusammen.
Immer wieder fällt seine warme Stimme auf. Sie verleiht den Stücken eine weiche Note, man könnte fast sagen einen Hauch von Soul. Ein Musikstil, der ihn überhaupt sehr prägte. Marvin Gaye und Curtis Mayfield gehören zu seinen Lieblingskünstlern.
Von sich selbst sagt er, dass er zu Hause elektronische Musik meidet. Die höre er ohnehin ständig im Club. Er steht dann eher auf Klassiker von Van Morrison. Vor einigen Wochen ist jetzt Fritz Kalkbrenners erstes Soloalbum „Here Today Gone Tomorrow“ erschienen. Ein Portfolio, das die vielen Facetten des Elektro-Genres widerspiegelt. Es ist eine Mischung aus sanften Popmelodien und massiven, tiefgehenden Elektrobeats. Mal rein instrumental, dann wieder untermalt mit Kalkbrenners prägnantem Gesang.
Mit seiner Stimme zieht Fritz eine klare Grenze zu Paul. Mögen viele ihn immer noch allein mit „Sky and Sand“ in Verbindung bringen, beweist er mit seinem Debüt, dass er mehr kann. Vielleicht werden die Leute aufhorchen. Und dann war die Hymne doch eher Segen als Fluch.