„Jahrhundertsänger“ Fischer-Dieskau gestorben
Berlin (dpa) - Kaum ein deutscher Sänger hat so viele Platten aufgenommen und solche Bewunderung geerntet wie Dietrich Fischer-Dieskau.
Der lyrische Bariton galt als eine der großen Künstlerpersönlichkeiten der Nachkriegsgeschichte. Mit seiner betörenden Stimme wurde er als legendärer Opern- und Liedersänger gefeiert, sein Einfluss gar mit Gesangstars wie Enrico Caruso und Maria Callas verglichen. Mehr als 3000 Lieder hatte er in seinem Repertoire, er wurde mit Preisen überhäuft.
Im Alter von 86 Jahren starb Fischer-Dieskau am Freitag im Beisein seiner Ehefrau, der Sängerin Julia Varady, in seinem Haus in Berg bei Starnberg in Bayern. „Er ist sanft entschlafen“, sagte die Sopranistin im Gespräch mit der Nachrichtenagentur dpa.
Fischer-Dieskau, von Naturell aus ein lebensfroher Mensch, feierte mit einer unzeitgemäßen Gattung weltweit Erfolge - dem deutschen Lied. Für diese lyrische Kunstform aus der Romantik, bei der sich der Sänger in Klavierbegleitung vor dem Flügel postiert, gewann der gebürtige Berliner ein Millionenpublikum. Liedsängern wie Thomas Quasthoff oder Christian Gerhaher ebnete Fischer-Dieskau den Weg in Konzertsäle und zu Plattenaufnahmen.
Es war vor allem Fischers-Dieskaus Ernst auf dem Podium, dieses Kokettieren mit der Tragik, mit dem der Sänger so etwas wie ein deutscher Kulturbotschafter wurde. In seinen legendären Aufnahmen von Franz Schuberts „Winterreise“ oder in Liedern Carl Löwes schimmerte jene Tiefgründigkeit durch, die weltweit gerne als urdeutscher Wesenszug gedeutet wird.
Fischer-Dieskau leitete einen Paradigmenwechsel in der Gestaltung von Liederabenden ein. Nicht mehr die Abwechslung von fröhlichen und düsteren Stücken stand im Mittelpunkt, sondern komplette Zyklen, etwa die „Winterreise“ oder die „Schöne Müllerin“. Sie zählen wie die Interpretation der Lieder Gustav Mahlers zu den bekanntesten Einspielungen der klassischen Musik überhaupt.
Der Sänger stand aber ebenso oft auf der Opernbühne - als Wolfram von Eschenbach in „Tannhäuser“ oder als Papageno in der „Zauberflöte“. Er gab den Grafen Almaviva in „Figaros Hochzeit“ und den Ottokar im „Freischütz“. Insgesamt gibt es mehr als 400 Schallplatten von Fischer-Dieskau.
In seinem Elternhaus in Berlin-Zehlendorf wurde die Flamme für die spätere Karriere gezündet. In seinem Erinnerungsband „Zeit eines Lebens. Auf Fährtensuche“ gab er im Rückblick eine verblüffende Begründung für seine Berufswahl: „Wenn meine Mutter sich Klavier spielend im Esszimmer, in dem wegen Platzmangels auch der Blüthner- Flügel stand, an Mozart, Brahms oder Chopin versuchte, hielt ich das kaum aus, schon gar nicht, wenn sich zugleich ihre etwas piepsige Gesangsstimme hören ließ. Das musste doch besser zu machen sein!“
Noch in der Schulzeit hatte der Sohn eines Altphilologen und einer Pianistin mit einer Darbietung der „Winterreise“ 1943 im Berliner Rathaus Zehlendorf einen ersten Auftritt. Nach dem Hochschulstudium sprang er 1947 ohne Probe für einen erkrankten Solisten im „Deutschen Requiem“ von Brahms in Badenweiler ein. Schon im Herbst des darauffolgenden Jahres wurde er als erster lyrischer Bariton an der Städtischen Oper Berlin verpflichtet. Auftritte in ganz Europa und internationale Anerkennung bei Publikum und Musikkritikern folgten bald.
Besonders Fischer-Dieskaus enorme Bandbreite bei den oft zarten Schattierungen seiner Interpretationen begeisterten die Zuhörer. Es war vor allem die Verbindung von sprachlicher und musikalischer Genauigkeit, die den Gesangstext für jeden Zuhörer verständlich machte, aber auch seine Leidenschaft, mit der sich Fischer-Dieskau einen weltweiten Namen erwarb. Von 1954 an war er ständiger Gast bei den Wagner-Festspielen in Bayreuth.
Neben seinen Opernauftritten legte Fischer-Dieskau bald den Schwerpunkt seines Schaffens auf die Liedinterpretation, insbesondere auf Schuberts Werke. 1948 spielte er erstmals die „Winterreise“ ein, von der später weitere acht Aufnahmen auf den Markt kamen. Der Brite Gerald Moore war dabei sein kongenialer Klavierbegleiter, mit dem Fischer-Dieskau zu dem vielleicht bedeutendsten Vertreter des romantischen Liedgesangs wurde. Liedklassiker wie „Die schöne Müllerin“ oder Mahlers „Kindertotenlieder“ erreichten als Platten hohe Auflagen.
Ob Wolfgang Sawallisch, Daniel Barenboim oder Christoph Eschenbach - Fischer-Dieskau standen auch immer große Dirigenten zur Seite. Zahlreiche Komponisten wie Benjamin Britten, Luigi Dallapiccola, Gottfried von Einem, Hans Werner Henze und Aribert Reimann schrieben für ihn Opernrollen, Oratorien-Partien und Lieder. Eng verbunden blieb Fischer-Dieskau mit der Deutschen Oper Berlin und mit dem Festival in Salzburg. Als Musikschriftsteller schrieb er unter anderem über „Wagner und Nietzsche“, die Monografie „Robert Schumann“ sowie mehrere Erinnerungsbände.
Nach mehr als 45 Jahren Konzerttätigkeit zog sich der Sänger im Dezember 1992 von den Bühnen zurück und widmete sich verstärkt seinem Hobby als Maler. Vor zehn Jahren schrieb Fischer-Dieskau, er sehe sich mit einer „eigentlich grauenerregenden Werktotalität“ konfrontiert. Doch es werde Zeit seines Lebens niemanden geben, der ihn endgültig „zu etwas Vergangenem, zu etwas bloß Marmornem machen könnte - so sehr sich einzelne auch darum bemühen, mich auf fernem Postament zu isolieren“, schrieb Fischer-Dieskau in seinen Erinnerungen.