Jung-Dylan im Hipsterclub: Kevin Morby live

Berlin (dpa) - Es ist wohl reiner Zufall, dass kurz vor Bob Dylans 75. Geburtstag einer seiner potenziellen Nachfolger in Berlin auf der Bühne steht. Kevin Morby bringt auch als Live-Musiker viel mit, um solch ehrenvolle Vergleiche zu rechtfertigen.

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Und der Dylan-Vergleich gehört quasi zwangsläufig dazu, wenn man die bisher drei Soloalben des pausbäckigen, jungenhaften Wuschelkopfs aus Kansas hört oder ihn im Konzert erlebt. Vor allem Morbys nasale, zum Glück noch nicht so zerschossene Baritonstimme lässt immer wieder an den großen Alten denken, der am 24. Mai das Dreivierteljahrhundert abrundet. Hinzu kommt Morbys Sound, den er am Montagabend im Berliner Club Lido zusammen mit drei jungen, versierten Begleitern zelebriert: ein live zum Schrammeligen, Schnoddrigen neigender, wie einst von Dylan gewünscht „quecksilbriger“ Folkrock.

Der 28-Jährige scheint den Hype, der über ihn mit dem herausragenden dritten Album „Singing Saw“ im April hereinbrach, noch kaum nachvollziehen zu können. In Berlin blickt der nach einer New Yorker Zwischenstation nun in Los Angeles lebende Singer-Songwriter und Gitarrist oft fassungslos in den fast ausverkauftem Hipsterclub mit lauter begeisterten, selig lächelnden neuen (und einigen alten) Fans. Seine Ansagen sind sympathisch uneitel und bescheiden, sein Verhalten völlig ungekünstelt. Nach dem 70-minütigen Gig steht er noch lange am Merchandising-Stand herum und erfüllt freundlich jeden Signierwunsch.

Beim Auftritt mit der stoischen zweiten Gitarristin Megan Duffy, dem Bass-Mann Cyrus Gengras und Schlagzeuger Justin Sullivan zeigt sich, dass Morby aus der Not eine Tugend machen und sein Songmaterial ähnlich mutig neu justieren kann wie Dylan. Während das Album in neun grandiosen Songs mit Streichern und Bläsern Opulenz bietet, wirken diese Lieder im Konzert ohne Auspolsterung rauer, kantiger, unmittelbarer, auch offen für Improvisationen. So erschließen sich etwa bei „Destroyer“, „Dorothy“ oder „Water“ neue Ebenen.

Und selbst wenn man die herrliche Ballade „Drunk And On A Star“ oder auch den Einsatz der titelgebenden Singenden Säge vermisst, kommt doch nie das Gefühl auf, dass es sich nur um eine Schmalspurversion von Morbys wunderbar warmherziger Americana handeln könnte. Zumal er mit einer Coverversion von Townes van Zandt zeigt, dass er nicht nur „His Bobness“ verehrt. An einem sommerlichen Berliner Abend zaubert dieser hochtalentierte Musiker jedenfalls die Hoffnung herbei, dass das Genre Folkrock auch 50 Jahre nach Dylans Initialzündungen noch nicht völlig ausbuchstabiert ist. Toller Typ, tolles Konzert!

Ein weiteres Konzert von Kevin Morby findet am 14. Mai im Hamburger Club Molotow statt.