Komponistin beherrscht die Musik

Eine Uraufführung für die Niederrheinischen Symphoniker.

Krefeld. Zum vierten Mal haben die Niederrheinischen Symphoniker unter Graham Jackson einen Kompositionsauftrag erteilt, um dem Konzertpublikum die Chance zu geben, nicht nur Repertoire, sondern auch Uraufführungen zu erleben. Der Auftrag erging an die Berliner Komponistin Charlotte Seither (geboren 1965). Mit dem "Essay on Shadow and Truth" stellte sie sich einer schwierigen Aufgabe.

"Mythisch und seelenhaft" heißt das thematische Motto des Abends. Den Auftakt macht Sergej Rachmoninows "Die Toteninsel" op.29, eine sinfonische Dichtung nach dem gleichnamigen Bild von Arnold Böcklin. Geschrieben wurde das von Selbstzweifeln und seelischen Schwankungen geprägte Werk 1909 in Dresden. Der Kahnfahrt des Seelenschiffers hinüber zur gespentisch wirkenden Insel entspricht der schillernde Einsatz des Fünfachtel-Taktes.

Charlotte Seither hatte als Vorgabe, den großen Orchesterapparat mit sieben Celli und fünf Kontrabässen, mächtigem Blech und Holz ebenfalls zu benutzen. Der hochreflektierten Komponistin, promovierten Philosophin und Lehrbeauftragten für Neue Musik gelingt es, hundert Jahre nach Rachmaninow mit denselben Mitteln ein völlig anderes Klangpanorama zu entfalten.

Sie bereichert die Instrumente durch ungewöhnliche Soundeffekte, die etwa durch Heulschläuche und Melodicas entstehen. Zum Teil sind die Musiker ganz frei gestellt und können eigene Geräusche einbringen. Wie ein Strudel zieht das Geschwirr und Geflirr den Zuhörer in eine faszinierende Welt.

Seithers Ziel ist ein schwebender Zustand, in dem jeder seine Eigenständigkeit behält. Das gelingt, weil die Musik sehr bildhaft ist und alle möglichen Assoziationen zulässt. Gleich zu Beginn hören wir, wie ein Stein ins Wasser fällt und die kreisenden Wellen langsam verebben. In den Bässen und im tiefen Blech bleiben lange Orgeltöne liegen, über denen sich allerhand Spannendes, Frivoles, Heiteres und Versöhnliches ereignet. Die Qualität der Arbeit besteht darin, dass sie nie aggressiv, verletzend oder effekthaschend ist.

Graham Jackson dirigiert mit großer innerer Ruhe einen sich unter seiner Hand ständig erneuernden und verschiebenden Klangkörper. Das Orchester zeigt sich in der ganzen Fülle seiner Ausdrucksmöglichkeiten und lässt es zu einem Genuss werden, ihm zuzuhören und zuzusehen. Zum Schluss stellt die Koreanerin Suyoen Kim Tschaikowskis Violinkonzert op. 35 vor. Termine: 1. Mai, Mönchengladbach, 2. Mai, Krefeld. Karten: 02151/805-125