Musik Kraftwerk gegen Setlur: Sampling-Streit vor Bundesverfassungsgericht
Es ist Neuland für das Bundesverfassungsgericht. Wohl nie zuvor waren solche Töne in einer Verhandlung des Hohen Gerichts zu hören. Es geht um die Verwendung eines Rhythmusausschnitts der Gruppe Kraftwerk in einem Song von Sabrina Setlur - und seine Folgen.
Karlsruhe. Bäng-dänge-däng-däng. Kalt und metallisch scheppert der Tonfetzen, der im Bundesverfassungsgericht in zwei Varianten abgespielt wird. Erst im Original - aus dem Stück „Metall auf Metall“ der Gruppe Kraftwerk - und dann in der Version aus dem Song „Nur mir“ von Sabrina Setlur. 20 Jahre liegen zwischen dem ersten Werk von 1977 und der Sampling genannten Verwertung.
Fast ebenso lange währt inzwischen der Rechtsstreit, den zwei Kraftwerk-Gründungsmitglieder mit dem Produzenten Moses Pelham und weiteren Beteiligten ausfechten. Bis hin zum Bundesgerichtshof hatte Kraftwerk in den Verfahren um Unterlassung und Schadensersatz die Oberhand behalten. Jetzt befasst sich das Karlsruher Gericht mit einer Verfassungsbeschwerde von Pelham, Setlur und anderen Künstlern.
Kraftwerk-Urgestein Ralf Hütter hat eine ganz klare Vorstellung der Rechtslage, die er dem Ersten Senat des Bundesverfassungsgerichts in der mündlichen Verhandlung am Mittwoch vorträgt: „Du sollst nicht stehlen“, zitiert er das siebte Gebot aus der Bibel. Den Verfassungsrichtern reicht das nicht. Deswegen erörtern sie den Fall mit Experten aus der Musikindustrie und der Bundesregierung ausführlich. Wann das Urteil verkündet wird, steht noch nicht fest.
Es geht um eine Technik, die Sampling genannt wird. Ein Komponist entnimmt einem Musikstück einen bestimmten Teil und verwendet ihn für sein Werk neu. In diesem Fall bearbeitete Pelham die zwei Sekunden lange Rhythmussequenz nur geringfügig und legte sie als Endlosschleife unter den 1997 erschienenen Setlur-Song.
Ist das durch die Freiheit der Kunst gedeckt oder müssen dabei Urheber- und Leistungsschutzrechte beachtet werden? Für die Bundesregierung ist klar: Kleinste Tonfetzen seien nicht vom Leistungsschutzrecht erfasst, trägt ein Vertreter des Justizministeriums vor.
Die eher emotional als juristisch geprägte direkte Auseinandersetzung zwischen Hütter und Pelham bringt Spannung in die Verhandlung. „Ich halte das für mein Recht“, sagt Pelham zum ungefragten Sampling. Das sei im Hip-Hop üblich. Ohne gäbe es seine Kunstform gar nicht. Er sammle Tonsequenzen und habe damals nicht einmal gewusst, aus welchem Stück der verwendete Ausschnitt stammte.
Hütter hält auf die Frage eines Verfassungsrichters, was ihn an dem Vorgang konkret störe, dagegen: Er habe ein künstlerisches Werk geschaffen, das jemand per Knopfdruck benutzt. „Das nennt man in unseren Kreisen Abzocker oder Abstauber.“ Aus den USA erhalte er regelmäßig Anfragen, ob er die Nutzung eines Ausschnittes erlaube. Das sei der richtige Weg.
Pelham sagt, er habe ein Gespräch angeboten. „Die Gegenseite hatte kein Interesse an einem Gespräch.“ Hütter gehe es nicht um Geld, ist er überzeugt. Wenn die Gegenseite sage, ihr Werk sei so groß, sie wolle nicht, dass es verwendet werde, könne er nicht machen, was er mache.
Das Bundesverfassungsgericht betritt nach Kirchhofs Angaben mit dem Verfahren Neuland, denn es sei das erste Mal, dass es sich in einer mündlichen Verhandlung mit verfassungsrechtlichen Fragen des Urheberrechts befasse.
Zu den Fragen, ob es einen funktionierenden Markt für den Handel mit Tonausschnitten gibt, welcher Anteil des Samplings in Deutschland durch Lizenzen abgesichert sei und wie sich dieser Bereich des Musikgeschäfts entwickeln werde, gaben Vertreter der Musikindustrie zum Teil widersprüchliche Antworten. Der Ausgang des Verfahrens dürfte für weite Teile der Branche Bedeutung haben.