Leslie Clio: Herzschmerz, gebettet in luftigen Soul

Mit Songs wie „Told You So“ ist Leslie Clio seit Monaten im Radio präsent. Ihr erstes Album soll eine bewusste Abkehr vom Retro-Soul im Stile von Amy Winehouse sein.

Düsseldorf. Wikipedia kann bisweilen auch verwirren. Leslie Clio hat dort einen Eintrag, der sie noch bis vor Kurzem mit zwei verschiedenen Geburtsjahren auswies: 1986 und 1992. Darauf angesprochen, ob sie ein Problem damit habe, ihr Alter preiszugeben, muss Clio lachen. „Mit dem Eintrag habe ich nichts zu tun.“ Sie sitzt in Berlin, ihrer Wahlheimat. Das Gespräch findet am Telefon statt, ihre Stimme ist entspannt. „Ach so, und das Geburtsjahr ist eher 1986 als 1992“, schiebt sie mit lakonischem Unterton nach.

Über mangelnde Präsenz kann sich Clio momentan nicht beschweren. Zwar kennt man ihr Gesicht so gut wie gar nicht, aber ihre Stimme und die dazugehörigen Songs sind allgegenwärtig. Die Debütsingle „Told You So“ ist einer der Ohrwürmer des vergangenen Jahres, und auch „I Couldn’t Care Less“ scheint Musikredakteuren bundesweit so gut zu gefallen, dass es kaum einen Radiosender für Mainstream-Pop gibt, der die Nummern der Hamburgerin nicht spielt.

Beide Songs handeln von Herzschmerz, strahlen mit ihrem luftigen Soul und der glattgebeizten Produktion aber eine gewisse Unbekümmertheit aus, ein Weiter-so und Kopf-hoch, das nur Menschen ausstrahlen können, die das Leben so nehmen, wie es sich ihnen bietet. Leslie Clio scheint in genau diese Kategorie zu fallen. Nach dem Abitur ist sie durch die Weltgeschichte gereist, war zwei Jahre lang mal in Indien, dann wieder Australien und Neuseeland, in London und den USA.

Einen festen Wohnsitz hatte sie in dieser Zeit nicht. „Meine Sachen habe ich bei meiner Oma in Hamburg untergestellt.“ Zwischendurch nahm sie Gesangsunterricht. Was wäre eigentlich passiert, wenn es mit dem Plan, Musik zu machen, nicht geklappt hätte? „Dann hätte ich eben noch eine Reise gemacht“, sagt sie. Druck? Woher denn? „Ich war noch nie ein Mensch, der grübelt.“

Aber ihre Gedanken hat sie sich gemacht. Mit 13 entdeckte sie die Lyrik für sich, schrieb eigene Gedichte und Liedstrophen, damals schon auf Englisch. Klingt hochtrabend. „Ist es aber nicht.“ Clio amüsiert diese Annahme. „Ich habe als Internatskind auf meinem Zimmer gesessen und mit meinem gebrochenen Englisch Texte fabriziert.“ Wenn dabei dann etwas herauskam, was nach Songtext klang, war sie unglaublich stolz.

Auch wenn sie Wert darauf legt, dass sie nicht eine weitere Künstlerin ist, die auf den Retro-Soul-Zug aufspringen will, merkt man den Liedern ihres Debütalbums „Gladys“ an, dass Clio in ihrer Jugend viel Motown gehört hat. Die geradlinigen Melodien der 1960er, die kraftvollen Stimmen, die nur dann in Koloraturen ausbrachen, wenn es Sinn macht. Clio beherrscht das gut. Aber was ist es nun, was sie macht? Soul oder Pop? „Beides“, sagt sie.

Mit Nikolai Potthoff, der unter anderem für Thees Uhlmann an der Gitarre steht, hat sie vier Monate in einem Studio am Sound gefeilt, Puzzlestücke zusammengesetzt und Gesangsfetzen nachbearbeitet. Dass das Ergebnis reduziert klingt, ohne diese Versessenheit, mit Hall und Glöckchen die Songs in die Vergangenheit zu produzieren, ist eine bewusste Entscheidung gewesen. Sechs Jahre nach dem stilbildenden Erfolg von Amy Winehouse wäre ein weiteres Revival-Album auch arg hinterhergehechelt.

Mit „Gladys“ bricht Clio den Popsong auf sein Konzentrat herunter: Es geht um Liebe, um eingängige Tonfolgen, wohl dosierte Gefühle — schlicht: ein gefälliges Ganzes, das es im Radio leicht hat. Warum die Liebe und ihr Scheitern die Texte so dominieren? „Es sind Gefühle, die jeder Mensch kennt.“ Läuft man dann nicht Gefahr, in ausgetretenen Pfaden zu wandeln? „Ach was“, sagt sie, nicht verärgert, sondern wieder mit dieser Unbekümmertheit. „Es gibt in Sachen Herzschmerz einfach ein schier unerschöpfliches Meer an Möglichkeiten, und an jedem Strand liegen noch ungeknackte Muscheln.“ Man könne die Musikgeschichte nicht löschen, ergänzt sie, es ginge allein darum, wie man sie neu interpretiert.

Damit scheint sie anzukommen: Für Joss Stone oder Keane spielte sie bereits im Vorprogramm. Jeweils tolle Erfahrungen. Kontakte knüpft man dabei aber eher nicht, wie sie einräumt. „Das ist meistens relativ unromantisch. Die kommen, wenn sie dran sind. Vorher oder nachher sieht man sich da eigentlich nicht.“ Beeindrucken kann sie offenbar nur wenig. Das Privileg der Weitgereisten.

Dank ihrer klaren Stimme, mit der sie raue Nuancen gut herausarbeiten kann, ist Clio jetzt selbst auf dem Sprung zum Haupt-Act, ihr Wikipedia-Eintrag mittlerweile frei von Ungenauigkeiten. Noch so ein Zeichen, dass sie angekommen ist.