Lindenbergs Werk: Rund um Udo und Unsterblichkeit

Hamburg (dpa) - „Der einsamste Moment“, sagt Udo Lindenberg, „der kommt oft nachts.“ Wenn der Rockstar mal auf keiner Bühne mehr steht. Nicht auf einer vor Zehntausenden Fans, nicht auf der, zu der die Lobby des Hotels „Atlantic“ regelmäßig für ihn wird.

Foto: dpa

In einsamen Momenten schaltet der Musiker in seiner „Panikzentrale“ im zweiten Stock des Luxushotels an der Hamburger Außenalster den Fernseher ein, legt sich hin und malt. „Allein sein ist wichtig, auch für so'n geselligen Partyvogel wie mich“, erklärt er. „Um mal richtig auszuloten, wo man gerade so unterwegs ist auf der Lebensflugbahn.“

Seine eigene ging vor acht Jahren wieder steil nach oben. Damals zischte er, der von vielen als Alkoholsüchtiger und Altstar Abgeschriebene, als „Phönix aus der Flasche“ wieder an die Spitze der Charts. Genau da will er jetzt, kurz vor seinem 70. Geburtstag, wieder hin - mit seinem neuen Album „Stärker als die Zeit“.

„Stark wie Zwei“, jene Platte, mit der er sich 2008 selbst vom Barhocker wieder auf die Bühne katapultierte, war nach dem Tod seines Bruders Erich entstanden. Lindenberg schaffte es, das „Tal des Zweifels“, wie er seine Krisenjahre nennt, hinter sich zu lassen. Wirklich Erfolgreiches hatte er schon lange nicht mehr abgeliefert. Nun das erste Nummer-eins-Album seiner Karriere. Kritiker lobten, Fans liebten ihn (wieder). Größere Misserfolge seitdem? Fehlanzeige. Mit seiner „MTV Unplugged“-Aufnahme setzte er noch einen drauf.

Und der Panikrocker erlebte ein weiteres erstes Mal seit dem Debütalbum von 1971: seine erste Stadiontour. Seit dem Comeback räumt er, der mit 43 einen, wie er es nennt, „Herz-Kasper“ hatte und mit 46 den Echo bereits fürs Lebenswerk bekam, einen Preis nach dem anderen ab, gerade wieder einen Echo.

Ein Titel wie „Stärker als die Zeit“ scheint da nur folgerichtig. Zumal beim einstigen Trommler aus Gronau, der sein Einmal-reich-und-berühmt-sein-Ziel selbst als nuschelnder Nicht-Sänger erreichte, immer ein wenig „Größenknall“ mitspielt. Mit Whiskey hat er seine Stimme über die Jahre gestählt, mit Eierlikör - wie ihn Mutter Hermine zu besonderen Anlässen eingeschenkt habe - gegurgelt. „Niemand in diesem Land hat so viel Soul wie dieser alte weiße Mann, der das Singen nie gelernt hat“, schrieb der „Spiegel“ und bescheinigte dem Musiker, seine Stimme habe sich nie besser angehört als auf der neuen Platte. 15 Songs, Balladen und Panikrock-Nummern, in denen er sich treu bleibt und in starken Texten und schrägen Wortschöpfungen, gefühlvoll und gerockt, dem Leben seine Liebe erklärt.

Den Nachruf auf sich singt er gleich selbst: „Wenn die Nachtigall verstummt, geht ganz Deutschland schwer vermummt, um zu trauern, um zu weinen, in schwarzen Tüchern und in Leinen“, malt sich Lindenberg die Bilder nach seinem Ableben aus. „Die Kanzlerin kniet nieder und fängt an zu flennen. In der 'Tagesschau' ganz eilig, sprechen sie ihn sofort heilig. Und die Plattenfirma in solchen Zeiten kriegt derbe Lieferschwierigkeiten.“ Schweres Thema im Udo-Sprech „ganz easy“. „Ich kenn den Sensenmann, hab ihn schon paar Mal getroffen“, erzählt er. „Kam angeschlichen an die Bar und wollte mich mitnehmen. Aber ich hab ihm gesagt: Nee, geh lieber noch mal um die Häuser, einen saufen, und komm in 30 Jahren wieder. Wir haben den Club der Hundertjährigen gegründet.“ 70 wird er am 17. Mai, kurz vor dem Finale seiner Stadiontour-Trilogie.

„Ey sorry, ich kann hier echt noch nicht weg, hab ja 'nen Auftrag“, sagt er. Wozu auch bescheiden sein, wo ihm doch schon früh klar war: „Die Leute auf der Straße sollen später mal sagen: Guck mal, da geht der berühmte Udo L.“ So ist es gekommen, und so musste es auch kommen, denn einen „Plan B“, wie er einen Song getauft hat, gab es für ihn nie. „Schon als Kind, das war doch klar, check ich meine DNA, hab 'ne ganz geile Matrix“, heißt es darin. Im Interview erzählt er: „Hermann Hesse hat mit 15 gewusst, er wird Schriftsteller oder gar nichts, Mozart war schon mit 13 klar: Riesenkomponist und sonst nichts. Bei mir kam das mit 12.“ Nie sei ihm der Gedanke gekommen, seinen Plan zu ändern oder sich zu arrangieren. „Dafür war es in Gronau zu eng. Dieses Durchgeplante von der Wiege bis zum letzten Gong, ein Leben aus dem Supermarktregal - keine Option.“

„Den Planeten kaum betreten, da fing'n sie schon an, an mir rumzukneten. Doch da lief ja gar nichts“, singt er und greift mit „Plan B“ seinen Comeback-Hit „Ich mach mein Ding“ noch mal auf: „Ich werde mich nicht ändern, werd' kein anderer mehr sein, weil's wirklich ganz schön geil ist, einfach nur ich zu sein.“ Wieder eine Hymne auf die ihm wichtige „Lindividualität“. Er habe seinen „westfälisch-amerikanischen Traum“ verwirklicht, sagt der Musiker. „Rock'n'Roll ohne Ende, Leben im Hotel, schöne Frauen und Männer, lange Schecks - alles was ich wollte, als ich die Fenster zur Welt geöffnet habe.“ Eine unheimliche Energie gebe es einem, wenn früh klar sei: Mein Weg ist alternativlos. „All die nicht eingelösten Träume der Eltern, wenn man das so sieht: der Vater, gefrustet, der nur lacht, wenn er einen trinken kann, die Mutter mit all den Sorgen, die nie verreisen und die Welt angucken kann.“

Obwohl oder auch weil es „nicht immer so harmonisch war, wie man sich das als Kind vielleicht gewünscht hätte“, habe er es in seinen 50er Jahren selbst versucht: „So'n persönliches, privates Glück mit Häuschen und so. Aber mein Leben im Dienste des Rock'n'Roll ist nicht kompatibel mit so einer bürgerlichen Form“, sagt er. „Die Kunst ist eine so fordernde Geliebte, sie lässt keine konventionellen Lieben zu, nur Komplizenschaften.“

Es war auch jene Zeit, als sich selbst viele Fans von ihm abwandten, er für viele nur noch eine Art Comicfigur und Karikatur seiner selbst war, Alkoholjahre weit entfernt vom angemessenen Alterswerk. Eine Danksagung an den geschundenen Körper - „Mein Body und ich“ - gehört auch zu den 15 Songs. Das Lied sang er 2003 schon, damals sei es eine Vision gewesen. Der Song erschien lange, bevor ihm wieder wirklich zugehört wurde. Er lag „vor der Zeit“, wie Lindenberg sagt. Inzwischen sei er wieder „turnschuh-fit“.

Und nun auch ganz offiziell der Pate, als der er sich schon lange sieht: Das Titellied „Stärker als die Zeit“ entstand zu Nino Rotas Filmmelodie aus dem Kino-Meisterwerk „Der Pate“. Verlag und Erben des Komponisten hätten erstmals und letztmals eine Genehmigung für einen deutschen Text vergeben, berichtet Rita Flügge-Timm vom Plattenlabel DolceRita Recordings. Mit Orchester in den legendären Abbey Road Studios aufgenommen, singt Lindenberg über Freundschaft und Zusammenhalt. Und über Unsterblichkeit, die er sich auch für den „Lindiismus“ - seine Kunst der Musik und Malerei - wünscht. Hunderte Male habe er das Mafia-Epos gesehen, sagt er, wirft mit Filmzitaten um sich und nennt den Hollywoodstar Marlon Brando den „Obermeister“ - „auch so ein Typ wie ich, mit Memoryschalter für die große Kunst“. Lindenberg selbst ist Oberhaupt der „Panikfamilie“ aus engen Freunden: „Ich bin gerne Basisdemokrat, aber manchmal muss man den Paten machen und den Hut aufhaben.“

Lindenberg sei „das letzte Einhorn, die Realversion von Pippi Langstrumpf“, schrieb der „Stern“ gerade über ihn. „Einer muss den Job ja machen“, singt er selbst auf der neuen Platte, „wenn sonst keiner hier am Start ist“. Am Tag der Album-Veröffentlichung will der Musiker mit 2000 Fans zum vierten Mal den „Rockliner“ entern und auf Kreuzfahrt gehen. Kurz nach seinem 70. beginnt er am 20. Mai die 14 Konzerte umfassende Stadiontour. „Jede Show kann die letzte sein“, lautet eine Zeile im Song „Eldorado“. Lindenberg will davon noch weit entfernt sein und macht der Musik und den Fans die Liebeserklärung schlechthin: „Eldorado und ich schwör, dass ich für immer unserm Rock'n'Roll und euch gehör.“

Auf der Tour wird auch er wieder dazugehören- „der einsamste Moment“, dem er ein Lied gewidmet hat. Den er auch in den letzten Minuten vor einem Auftritt erlebe, „mit weichen Knien, Magendrehen und Gedanken, die noch mal zu den Eltern wandern“. In den einsamen Momenten im Hotelzimmer beim Schauen der TV-Nachrichten („Und wieder tausend Seelen sinnlos in die Luft gesprengt“) frage er sich schon, ob er mit seinen Liedern überhaupt etwas erreichen kann. „Wir wollten doch die Welt verändern, irgendwann.“ Aber er bleibt zuversichtlich. „In einsamen Momenten schaue ich mir auch selbst mal tief in die Augen“, sagt er. „Was ich dann sehe? Viel Vertrautes, aber auch Mysteriöses, leicht Alien-haftes, Dinge, die mir noch immer ein bisschen fremd sind. Es gibt noch viel zu entdecken bis zur goldenen Landebahn.“