„Lemonade“: Beyoncés Abrechnung mit Jay-Z

New York (dpa) - Die Pop-Prinzessin ist endgültig zur Königin gereift. So packend, so tiefgründig, so ästhetisch und so persönlich war ein Album in der Welt des Pop selten.

Foto: dpa

Mit „Lemonade“ hat die „Queen B“ getaufte Sängerin Beyoncé (34) ein visuelles und musikalisches Meisterwerk geschaffen. Es ist eine Hommage an schwarze Frauen und ein Paukenschlag in der kriselnden Beziehung mit ihrem Ehemann Jay-Z, eine Abrechnung mit dem und Liebeserklärung an den Rapper zugleich.

„Er will mich nur, wenn ich nicht da bin. Besser Becky mit den guten Haaren anrufen.“ Der Satz aus dem träumerischen Titel „Sorry“ von einer zutiefst verletzt wirkenden Beyoncé ist nur einer von vielen, mit dem sie ihm Ehebruch vorwirft. „Betrügst Du mich?“, fragt sie an anderer Stelle. „Ich kann Deine Geheimnisse riechen.“ Schnell kamen Spekulationen auf, dass mit der mysteriösen Becky die Designerin Rachel Roy gemeint ist, der eine Affäre mit Jay-Z nachgesagt wurde.

Dass Beyoncé diese pikanten Vorwürfe mit einem Album und einem dazugehörigen, einstündigen Film der gesamten Welt vor die Füße legt, kann man als schallende Ohrfeige an ihren 46-jährigen Partner werten. Und als sei das nicht schon genug, ist „Lemonade“ zunächst exklusiv im Streamingdienst Tidal erschienen - der Plattform also, die Jay-Z selbst gehört. Dort heißt es, Beyoncés Projekt drehe sich um den „Weg jeder Frau zu Selbsterkenntnis und Heilung“. Inzwischen gibt es „Lemonade“ auch bei iTunes.

Die elf Stufen dieses schmerzhaften Prozesses, die sie in dem mit Co-Regiesseur Khalil Joseph gedrehten Film durchspielt und besingt, kann jeder nachempfinden, der selbst schon einmal betrogen wurde: vom düsteren Verdacht über Verleugnung, nackte Wut und Gleichgültigkeit zur inneren Leere, Vergebung und schließlich der Hoffnung, dass die Beziehung so einen Riss nach einer Art Wiedergeburt überstehen kann.

An den Beginn dieses Spannungsbogens setzt Beyoncé die Ballade „Pray You Catch Me“, die sie in den Feldern bei New Orleans zeigt. Ihre Wut über die angebliche Affäre entlädt sie in „Hold Up“, als sie im gelben Roberto-Cavalli-Fransenkleid lachend Autoscheiben mit einem Baseballschläger zertrümmert, bevor sie die geparkten Wagen im Monster Truck zerquetscht: „Sie lieben Dich nicht, wie ich Dich liebe / Kannst Du nicht sehen, dass es keinen Mann über Dir gibt? / Was für eine böse Art, das Mädchen zu behandeln, das Dich liebt.“

Doch Beyoncé wäre nicht Beyoncé, wenn sie sich von den Verfehlungen ihres Mannes würde unterkriegen lassen. „Dies ist Deine letzte Warnung“, rappt sie über den dunklen Bass im mit Jack White produzierten Song „Don't Hurt Yourself“. „Du weißt, dass ich Dir Leben gebe / Wenn Du den Dreck nochmal versuchst / verlierst Du Deine Frau“ - und wirft im Film einen Ring in die Kamera. „Wer zum Teufel denkst Du, bin ich?“ Spätestens hier mag man glauben, dass Jay-Z sich hinter verschlossenen Türen auf eine knallharte Abrechnung gefasst machen kann und die Beziehung der beiden vor dem Aus steht.

„Bye Boy“ steht auch auf dem Schulbus, vor dem „Bey“ und ihre Clique synchron tanzender Afroamerikanerinnen in „Sorry“ posieren. Dass Tennis-Champion Serena Williams neben dem Superstar twerkt, während Beyoncé den ausgestreckten Mittelfinger in die Höhe reckt, ist nur einer der überraschenden Gastauftritte auf „Lemonade“ - wie auch The Weeknd, der ihr für „6 Inch“ seine Stimme leiht. „Komm zurück“, flüstert sie im an Isaac Hayes' Klassiker „Walk On By“ angelehnten Titel und lässt das Schlafzimmer eines Bordells in Flammen aufgehen. „Ich bereue den Tag, an dem ich diesen Ring angesteckt habe.“

Tief in ihrer Vergangenheit wühlt Beyoncé, die im Film auch Aufnahmen ihres Vaters Mathew Knowles zeigt, um ihre Wunden heilen zu lassen. Dass sie sich für die Klavierballade „Sandcastles“ in intimen Posen und eng umschlungen mit Jay-Z zeigt, lässt hoffen, dass das berühmte Paar wiederauferstehen wird. „Der Mann, den ich liebe, zieht die Nähte mit seinen Fingern heraus / Ich wache auf, als das zweite Mädchen mit dem Kopf zuerst aus meinem Rachen kriecht.“ In der zweiten, gelasseneren Hälfte singt sie von Heilung, vom Neuanfang, und zeigt Aufnahmen der beiden als glückliches Paar. Zugleich hält sich das Gerücht, dass die beiden den Ehebruch nur erfanden und Rachel Roy bezahlten, um mit dem Hype die Verkäufe anzukurbeln.

So persönlich „Lemonade“ ist, bleibt es auch eine Ode an die schwarze Frau, den Süden der USA und ihre Vergangenheit. Der Titel spielt auf Hattie White an, der Großmutter von Jay-Z, die bei einer Rede zu ihrem 90. Geburtstag sagte: „Es ging auf und ab, aber ich habe immer die innere Kraft gefunden, mich hochzuziehen. Ich bekam Zitronen, aber ich habe Limonade gemacht.“ Das Album sei ein „brennender Liebesbrief an sich selbst und Afroamerikanerinnen - unseren Schmerz, unsere Schönheit, unsere harte Liebe, unseren Verrat, unsere Kraft“, schreibt das afroamerikanische Online-Magazin „The Root“. Vermutlich ist es das beste der nun sechs Alben, die Beyoncé produziert hat.