„Lohengrin“: Gipfeltreffen der Klassikstars in Dresden
Dresden (dpa) - Anna Netrebko hat es einmal wieder bewiesen: Die Sopranistin ist eine Klasse für sich. Sogar wenn es um ein für sie bislang unbekanntes Fach geht. Das heißt in diesem Fall Richard Wagner und verlangt Sängern Höchstleistungen ab.
Oder man ist wie im Fall Netrebkos eine Ausnahmekünstlerin.
Die Russin gab am Donnerstag in Dresden ihr Rollendebüt als Elsa in Wagners „Lohengrin“ und zog das Publikum unmittelbar in ihren Bann. Der Jubel war laut und lang - und auch Netrebko schien in diesem Moment auf eine besondere Art berührt. Es wirkte fast, als wäre ihr eine Last von den Schultern genommen - denn Wagner ist nun mal ein schwerer Brocken.
Über die Inszenierung muss nicht viel gesagt werden. Wagner-Fans kennen den Dresdner „Lohengrin“ von Christine Mielitz, der 1983 noch im heutigen Schauspielhaus Premiere hatte - zwei Jahre vor Wiedereröffnung der im Zweiten Weltkrieg zerstörten Semperoper. Bis zu Netrebkos Auftritt lief das Stück 111 Mal. Doch die Aufführung nach der Schnapszahl war eine besondere. Das ist nicht zuletzt Christian Thielemann zu verdanken, der als begnadeter Wagner-Dirigent gilt und somit ein Magnet für Opernstars ist. Er soll auch den Polen Piotr Beczala überredet haben, den Schwanenritter „Lohengrin“ in Dresden zu singen - das zweite Rollendebüt des Abends.
Dabei räumten auch die anderen Akteure in der Gunst des Publikums ordentlich ab. Evelyn Herlitzius (Ortrud), Tomasz Konieczny in der höllisch schweren Partie des Telramund, Georg Zeppenfeld als König Heinrich und Thielemann am Pult der Staatskapelle wurden frenetisch gefeiert und mussten immer wieder vor den Vorhang. Selbst zwischen den Akten gab es Bravo-Rufe und viel Beifall. Nach dem Finale flogen Blumensträuße in Richtung Bühne, von denen einige freilich ihr Ziel verfehlten und im Orchestergraben landeten. Sogar ein kleiner Plüsch- Schwan erreichte Netrebko - sie gab ihn bis zum letzten Vorhang nicht mehr aus der Hand und winkte immer wieder dem Publikum zu.
Das Debüt von Netrebko als Elsa war von Fachwelt und Fans gleichermaßen mit Spannung erwartet worden. Denn die Russin etabliert sich damit im lyrisch-dramatischen Stimmfach. Sie liebe schon immer Wagners Musik, er sei einer ihrer Lieblingskomponisten, bekannte die Russin in einem Interview mit dem MDR Sachsen - dem einzigen, das sie während der Proben in Dresden gab. Sie wolle sich ganz auf diese Partie konzentrieren, hieß es immer wieder. Und auch ein paar Selbstzweifel müssen anfangs eine Rolle gespielt haben. Sie habe lange nicht geglaubt, Wagner singen zu können, bekannte Netrebko: „Aber jetzt die Rolle der Elsa - das ist mein Ein und Alles“.
Thielemann hat Netrebko auf ihrem Weg zu Wagner begleitet. Als sie vor ein paar Jahren erstmals mit der Staatskapelle Dresden arbeitete, habe er sie auf Wagner angesprochen, erzählt die Sängerin: „Er bot mir an, wenn ich das möchte, mich zu unterstützen. Und dann machten wir es fest.“ Netrebko sagt, dass sie zur Vorbereitung einer Oper normalerweise zwei Wochen benötige. Für die Elsa habe sie sich sechs Wochen Zeit genommen und während der Probenphase in Dresden dann täglich mit voller Intensität gesungen: „Das ermüdet natürlich, aber meine Stimme parierte trotzdem, denn Wagners Musik ist gut für die Stimme - für meine jedenfalls.“
Der Dresdner Stimmforscher Dirk Mürbe geriet nach der Vorstellung ins Schwärmen: „Das Wagnis Wagner ist gelungen“. Netrebko habe ihre erste Rolle im „Wagner-Fach“ trotz einer enormen Erwartungshaltung bravourös gemeistert: „Während viele Sängerinnen beim Wechsel in das lyrisch-dramatische Fach in den Grenzbereich ihrer stimmlichen Möglichkeiten kommen, erscheint Netrebkos Stimme nie gefährdet“, sagt der Experte. Auch wenn im 3. Akt Stimmführung und Spiel beim Rollendebüt noch etwas kontrolliert wirkten, lasse die zunehmende Erfahrung mit der Partie „noch weitere Farben aus dem Füllhorn dieser Jahrhundertstimme“ erwarten.
Abseits von allem Glamour bewegte die Musikfans die Frage, wie Netrebko die Rolle sprachlich meistert. Akribisch hatte sie sich auf ihre erste deutschsprachige Partie vorbereitet und brillierte auch hier: Denn ihre Stimme besaß nicht nur den erwarteten Wohlklang, sondern auch eine hohe Textverständlichkeit. Als das Publikum nach fast fünf Stunden die Oper verließ, ging draußen ein Feuerwerk los. Nicht wenige Opernbesucher dachten wohl, es sei zu Ehren Netrebkos gezündet worden. Es hätte durchaus zu dem Abend passen können, auch wenn es in diesem Fall einem anderen Ereignis gewidmet war.