Manic Street Preachers: Auf Bowies Spuren in Berlin
Berlin (dpa) - Typisch Manic Street Preachers: Während viele Briten sich von Europa abwenden, macht die unbeirrbare Sozialisten-Band aus Wales ein pro-europäisches Album. Besonders Berlin und Bowie haben es dem Trio angetan.
Die sanfte, melodieselige Folkpop-Platte „Rewind The Film“ aus dem vorigen Herbst war nur ein Vorgeschmack, die Ruhe vor dem Sturm. Gerade mal neun Monate später veröffentlichen die „Manics“ ein kraftvolles, lautes Ausrufezeichen von Album. Auf „Futurology“ (Sony) präsentiert sich das stramm linke Trio von seiner spiel- und experimentierfreudigsten Seite, es erweitert seinen Sound und sein Songwriting. Das Ergebnis: ein unverhoffter Karriere-Höhepunkt nach gut 20 Jahren im Britrock-Geschäft.
„Sie wird viel eckiger klingen, sehr europäisch“, sagte Bassist und Songtexter Nicky Wire im Vorjahr über die damals noch unbetitelte zwölfte Studioplatte der Band, die in Großbritannien kultisch verehrt wird und dort stets Spitzenränge der Charts belegt. Wire verriet auch bereits eine weitere Überraschung: „Es wird einen zweisprachigen Song mit einer deutschen Schauspielerin geben.“
Inzwischen weiß man, wer gemeint war: Nina Hoss, die blonde Bühnen- und Filmdiva, singt selbstbewusst den deutschen Part des nervös treibenden Elektro-Rocksongs „Europa geht durch mich“. Nach dem Eindruck der britischen Band spielt Hoss hier die „paneuropäische Domina“ - was ausdrücklich als Kompliment gemeint ist.
Mit der Textzeile „European dreams, European screams - europäische Träume, europäische Schreie“ umreißt der Song ein Hauptthema des Albums - Anspruch und Wirklichkeit, Schönheit und Zerrissenheit eines Kontinents, von dem sich die britischen Landsleute der Manic Street Preachers zunehmend entfremden. Nicky Wire indes betont seine sentimentale Begeisterung für die europäische Idee - trotz aller Kritik sei er „ein Anti-Euroskeptiker“, wie er dem „Guardian“ sagte.
Aufgenommen wurden die 13 Songs zu wesentlichen Teilen in den berühmten Berliner Hansa-Studios - also genau dort, wo David Bowie Mitte/Ende der 70er Jahre Meisterwerke wie „Heroes“ schuf. Der Geist des derzeit in einer großen Ausstellung gefeierten Superstars ist auf „Futurology“ spürbar: Nicht nur Instrumentals wie „Dreaming A City (Hugheskova)“ oder „Mayakovsky“ erinnern an die kühlen, von deutschen Elektronik-Pionieren wie Kraftwerk geprägten Klanggemälde aus Bowies wichtigen Berliner Jahren.
Die Atmosphäre der inzwischen weltweit angesagten Metropole hat die Gitarrenrockband Manic Street Preachers zu einem elektronisch aufgeladenen Sound inspiriert. „Man hat hier das Gefühl, dass man sich neu erfinden kann. In Berlin ist alles möglich“, sagte Wire. Im Song „Misguided Missile“ bringt er sogar die deutschen Worte „Sturm und Drang“ und „Schadenfreude“ unter.
Aber auch bewährte „Manics“-Qualitäten werden auf „Futurology“ gepflegt - in wütenden, punk-beeinflussten Hymnen wie „Let's Go To War“ und „Sex, Power, Love And Money“, oder in prachtvollen Balladen wie „Between The Clock And The Bed“. Hier teilt sich James Dean Bradfield - als Sänger/Leadgitarrist wieder in Hochform und längst einer der ganz Großen seiner Zunft - das Rampenlicht mit Green Gartside von Scritti Politti, der seine typisch seidenweich-androgynen Vocals beisteuert.
Schon auf dem herausragenden Vorgängeralbum „Rewind The Film“ hatten die Manic Street Preachers mit Richard Hawley, Lucy Rose und Cate Le Bon gleich mehrere Gastsänger präsentiert - „Futurology“ gewinnt durch die sehr unterschiedlichen Stimmen ebenfalls an Reiz.
„Wir haben auch heute noch den gigantischen Drang, uns zu beweisen“, sagte Wire im 3sat-Interview über das Credo seiner Band. Und Schlagzeuger Sean Moore betonte im „Guardian“: „Wir stellen dauernd in Frage, was wir vorher gemacht haben und was wir als nächstes machen werden. Wir sind ruhelos.“ Das neue Album der Manic Street Preachers zeigt beispielhaft, dass eine Mega-Band auch nach über zwei Jahrzehnten noch kreativ und relevant sein kann.