Bewegendes Porträt Narben des Erfolgs: Lady Gaga in Netflix-Doku
New York (dpa) - Lady Gaga weint oft. Den Eindruck bekommt man jedenfalls, wenn man ihrem Alltag als weltumgreifender Superstar in der Netflix-Dokumentation folgt. Gaga weint wegen Schmerzen, sie weint, wenn sich ihr Produzent Mark Ronson verabschiedet, sie weint, weil sie sich allein fühlt.
„Gaga: Five Foot Two“ ist das bewegende Porträt einer Sängerin, die in der Welt des Pop alles erreicht hat. Und die dieser Erfolg im Alter von nur 31 Jahren vollständig zu zermürben droht.
Wer frustriert war, dass Gaga die europäischen Konzerte ihrer „Joanne“-Welttournee samt der Auftritte in Hamburg, Berlin, Köln und Zürich absagte, dürfte den Ernst der Lage hier erkennen. Seit Jahren leidet Gaga an der Krankheit Fibromyalgie, immer wieder klagt sie in „Five Foot Two“ über muskelkaterartige Schmerzen im ganzen Körper. Als sie vor zwei Wochen ins Krankenhaus gebracht wurde und deshalb eine Show in Rio de Janeiro platzte, gingen bei ihr und ihrem Management offenbar endlich die Alarmglocken an.
„Sehe ich erbärmlich aus?“, fragt Gaga, als sie sich im Film weinend auf dem Sofa ihrer New Yorker Wohnung von Therapeuten massieren lässt. „Es ist mir so peinlich und ich weiß nicht einmal, wie eine Geburt sich anfühlen wird.“ Sie wolle doch nur eine „alte Rockstar-Lady“ werden. Selbst bei den Proben für ihren Auftritt vor Millionen beim Super Bowl, dem größten Entertainment-Spektakel des Jahres in den USA, holen sie die ewigen Hüftschmerzen ein.
Man mag sich wundern, dass an einer so erfolgreichen Sängerin große Selbstzweifel nagen. „Ich habe mich nie hübsch genug oder gut genug gefühlt“, verrät sie Regisseur Chris Moukarbel. Zumindest wisse sie jetzt, dass sie musikalisch „etwas wert“ sei. „Ich will in diesem Business eine Frau werden, ich will erwachsen werden.“ Ihr bisher persönlichstes Album „Joanne“, mit dem sie vom Freak-Status zu einer ruhigeren Stimme fand, spiegelt diesen Wunsch. Ihre außerirdischen, komplett durchgedrehten Kostüme waren da teils vielleicht auch der Versuch, eigene Unsicherheiten zu überspielen.
Stefani Germanotta, wie die Tochter italienischer Abstammung bürgerlich heißt, kommt in dem am vergangenen Freitag erschienenen Porträt sympathisch daher: Sie albert im Studio herum, feiert die eigene Musik ab, kommentiert absurde Situationen mit Blick in die Kamera. Einmal geht sie zum Einzelhändler Walmart und fragt einen Verkäufer, ob sie denn das neue Lady Gaga-Album hätten. Der arme Mann hat keinen blassen Schimmer, wer vor ihm steht.
Aber Gaga zeigt auch Wunden, die diese Entertainment-Karriere des größten Kalibers hinterlassen hat. „Als ich 10 Millionen Alben verkaufte, habe ich Matt verloren. Ich verkaufte 30 Millionen, ich verliere Luc. Ich bekomme den Film, ich verliere Taylor“, spricht sie aus dem Off über ihre Beziehungen, die an ihrem Tourkalender und der Arbeit im Studio scheiterten. „Ich bin jede Nacht allein“, sagt Gaga. „All diese Leute werden gehen und ich werde von all diesen Leuten, die mich den ganzen Tag anfassen und den ganzen Tag mit mir reden, in komplette Stille wechseln.“ Umso näher ist sie ihrer Familie, die sie als wichtigste Menschen in ihrem Leben beschreibt.
Am krassesten wird dieser Widerspruch in den fast psychedelisch anmutenden Szenen, in denen Gaga bis nach Asien reist, um ihr neues Album zu pushen. Gefühlt unkontrolliert wird sie hinabgezogen in einen Strudel aus Gesichtern, Stimmen, Handys, Tweets, fragenden Reportern, jubelnden Fans. Wenn sie dann im Vakuum eines Autos durchatmet, fragt man sich: Wie viel Star kann man aus einem Menschen pressen? Wie viel Star hält ein Mensch im eigenen Körper aus?
Für die Diva lautet die Antwort: nicht mehr viel. Es ist erstaunlich, dass Lady Gaga überhaupt in der Lage war, in der Halbzeit beim Football-Endspiel in Texas eine solch perfekte Show abzuliefern und dabei noch eine fette Portion Spaß zu haben. „Es gibt nichts Größeres als das hier, also genieße ich es lieber, denn es wird nicht noch einmal passieren“, sagt Gaga, bevor sie im Glitzerkostüm auf das Dach des Footballstadions gezogen wird. „Es ist ein bisschen traurig“, sagt sie. „Was werde ich danach machen?“