Neue CD von "Against Me!": Laura singt sich frei

Aus Tom Gabel wurde Laura Jane Grace. Die Band Against Me! widmet der Transsexualität jetzt ein Album. Ein Schock wie Genuss gleichermaßen.

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Düsseldorf. Am Telefon klingt sie schüchtern. Ihre Stimme ist leise, ihre Antworten sind kurz. Dass da eine Musikerin am anderen Ende der Leitung sitzt, die mit ihrer Band Against Me! jüngst ein vor Wut nur so strotzendes Album aufnahm, merkt man kaum.

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Vielleicht, weil Laura Jane Grace jetzt, wo sie all diese Interviews zur Veröffentlichung von „Transgender Dysphoria Blues“ geben muss, erst so richtig klar wird, was sie mit dieser Platte heraufbeschworen hat: ein mittleres Erdbeben in der Rocklandschaft.

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„Transgender Dysphoria Blues“ gehört zu jenen Alben, die das Leben eines Menschen vor der Öffentlichkeit ausbreiten — und dabei Ohrfeigen verteilen. Es geht um Lauras Leben. Und Laura war bis vor einem Jahr noch ein Mann:

Tom Gabel, Sänger einer Punkband aus Gainesville/Florida, die sich seit 1997 kontinuierlich nach oben gespielt hatte. Früher Clubs, auf einmal Radio-Airplay, Hallen und Festivals. Es lief. Against Me! wurden in einem Atemzug mit erfolgreichen Massen-Punks wie Rise Against und Green Day genannt. Ihr Album „White Crosses“ kam 2011 in die Billboard-Charts.

Nur Tom Gabel war unglücklich. Er war damals 31 und steckte im falschen Körper. Schon als Kind, das in Georgia zur Welt gekommen war, mit seinen Eltern aber ständig umzog, weil der Vater als Major in der Army diente, habe Tom mit Puppen gespielt und davon geträumt, wie Madonna zu sein. Das schrieb der Journalist Josh Eells in einem Porträt im „Rolling Stone“. 2012 hielt Tom Gabel es dann nicht mehr aus: Er outete sich und entschied sich für eine Geschlechtsumwandlung.

Nun ist Transsexualität kein neues Thema. Auch nicht in der zumeist von Männlichkeitsritualen dominierten Rockwelt. Da gab es zuletzt Keith Caputo, den Sänger der Metalband Life Of Agony, der zu Mina wurde. Vor ihm gab es Weltstars wie David Bowie, Marylin Manson oder Prince: Sie erhoben das Flattern zwischen den Geschlechtern zur Kunst.

Zudem richtet sich die Rockmusik vom Selbstverständnis ihrer Protagonisten her immer schon gegen Dogmen. Punk als Toms und Lauras Subkultur erst recht. Aber sogar im aufgeklärten Heute, selbst in ihrer eigenen, als besonders tolerant geltenden Punk-Szene hatte Lauras Schritt Folgen.

Zeitungen, Magazine, Leute auf der Straße, Konzertbesucher — alle kamen plötzlich und stellten Fragen. „Ja“, sagt Laura, „es gab und gibt Momente, in denen mich dieses Thema nervt und anwidert.“ Und: „Manchmal ist eben auch die Punk-Szene sehr männlich-dominant.“ Ein paar Sekunden schweigt sie, dann schiebt sie hinterher:„Das erfahre ich bis heute.“

In solchen Momenten fühle sie sich an die High School in Naples/Florida erinnert, so kindisch und dumm redeten die Menschen um sie herum. Was bleibe ihr da schon anderes übrig, als die Flucht nach vorn anzutreten? „Ich versuche, dagegen anzukämpfen“, betont Laura. „Gegen Stereotype. Gegen Geschlechtsnormen. Gegen all diesen Mist.“

Ihre Waffen sind Worte. Worte, unterlegt mit den harten Gitarrenriffs ihrer Bandkollegen. Auf „Transgender Dysphoria Blues“ (der pathologische Begriff für die Depression eines Menschen, der sich psychisch anders fühlt als er physisch ist) singt Laura sich frei.

In „True Trans Soul Rebel“ etwa läuft ihr lyrisches Ich verzweifelt nach Akzeptanz suchend durch die Nacht. „Drinking With The Jocks“ gewährt den erschütternden Blick in die Gedanken einer Frau, die im Körper eines Mannes steckt und sich aus Scham an den derben Witzen ihrer „Kumpels“ über Schwule und Transsexuelle beteiligt. Dafür verachtet sie sich.

„Transgender Dysphoria Blues“ ist musikalisch wie textlich Genuss und Schock gleichermaßen. Genuss, weil hier der alte Typus des Konzeptalbums, auf dem Melodie und Poesie einander bedingen, leidenschaftlich wiederbelebt wird. Schock, weil man sich fragt, wie diese Frau es schaffte, all die Jahre zu überleben.

„Dieses Album“, sagt Laura, „ist meine Katharsis.“ Eine Erlösung. Ein Weg. Der einzige, um die Vergangenheit zu begraben. Und der erste Versuch eines Rockstars, so konsequent Schicksalsgenossen und ewig Gestrige aufzurütteln. Mit Musik, die sicher auch wieder im Radio laufen wird, so eingängig klingt sie in ihrem melodiös-wütenden Punkrock-Gewand. Kein Zweifel: „Transgender Dysphoria Blues“ passt hervorragend in die Gegenwart.