Plácido Domingos Strahlkraft
Der Tenor bleibt selbst beim Wechsel ins tiefere Baritonfach unverwechselbar. Ein Gewinn für alle.
Berlin. Sie kennen sich seit über vierzig Jahren, seit Daniel Barenboim in den Sechziger Jahren mit dem etwa gleichaltrigen Tenor Plácido Domingo in Tel Aviv eine Tschaikowsky-Partie in israelischer Sprache einstudierte.
Mit fast Siebzig haben beide sich an der Berliner Staatsoper Unter den Linden einen Herzenswunsch erfüllt, Verdis "Simon Boccanegra" gemeinsam zum ersten Mal aufzuführen. Für den früheren Tenor Domingo ist es außerdem der Schritt ins tiefere Baritonfach, was ihm viele neue Partien eröffnen könnte.
Domingo hatte sich für die Koproduktion mit der Mailänder Scala einen moderaten Regisseur gewünscht. Die Wahl fiel auf Federico Tiezzi, der zusammen mit dem Bühnenbildner Maurizio Balò auf klassische Abstraktion setzt. Bilder des Spätmittelalters werden in farbenfroher Pracht nachgebaut, Meerblicke mit tosender Brandung, Hafenansichten, ein vergoldeter Dogenpalast.
Die Handlung spielt im 14. Jahrhundert in Genua. Der Korsar und Emporkömmling Simon wird von der Volkspartei zum Dogen gemacht, gerät aber ins Ränkespiel der verfeindeten Familien, die bis auf Messers Schneide um ihre angestammten Privilegien kämpfen und natürlich nichts davon abgeben wollen.
Verdi schrieb die erste Fassung 1857 ganz im Bann der politischen Einigung Italiens. Simon wird für ihn zu einem Künder von Friede zwischen den zerstrittenen Parteien, der auf Vergebung und Aussöhnung abzielt. Die zweite Fassung von 1881 ist düsterer. Schroff stoßen die Machtinteressen aufeinander. Erst im Tode Simons leuchtet eine weniger zerrissene Welt auf.
Die Berliner Inszenierung setzt ganz auf höchste Stimmqualität. Domingo verleiht der Titelpartie immer noch tenorale Strahlkraft, aber auch eine tiefe Menschlichkeit, die dem Werk gut bekommen. Dadurch hebt er sich wohltuend von den finsteren Bässen ab, die ihn umgeben.
Fiesco, sein ärgster Widersacher, wird von Kwanchoul Youn mit nicht enden wollendem Hass ausgestattet. Für Youn eine neue, wichtige Facette in seinem außergewöhnlichen Rollenrepertoire. Der junge Hanno Müller-Brachmann überzeugt als Intrigant Paolo, einem Vorgänger Jagos. Seine erste Verdi-Partie meistert er bravourös.
Über allem Streit schwebt der Konflikt der Liebenden. Barenboim hat ein Sängerpaar der Superlative gefunden. Für Fabio Sartori war es zunächst eine Überwindung, sich neben dem Startenor auf die Bühne zu wagen. Er muss sich nun aber keineswegs verstecken. Ein Ausnahmetenor, dessen Kantilenen und Portamenti jeden Zuhörer dahin- schmelzen lassen.
Neben ihm Anja Harteros in der Rolle von Simons Tochter Amelia. Sie entlockt ihrer Kehle Töne, wie man sie nur selten zu hören bekommt. Leicht, ohne allen Druck, alle Register spielerisch wechselnd und dabei von einer enorm intensiven Dramatik. Tosender und lang anhaltender Applaus. Alle nachfolgenden Vorstellungen sind bereits ausverkauft.