Pop: Der Platzhirsch röhrt im 80er-Stil

Das vierte Album der Strokes muss warten. Ihr Frontmann Julian Casablancas legt erstmal ein überraschend verpopptes Solo-Debüt vor.

Letztlich war es eine Frage der Ehre. Alle Bandmitglieder der Strokes sind in den vergangenen Jahren auf Solo-Pfaden gewandelt oder haben sich zumindest als Teil anderer Projekte profiliert. Alle - bis auf Julian Casablancas, quasi das Epizentrum der Band, der mit seinen neugierig umherirrenden Melodiebögen kompositorische Maßstäbe setzte und damit aus den Strokes mehr machte als eine bloße Auferstehung des rauen 70er-Jahre-Rocks.

Unter seiner Dominanz hatten die restlichen Bandmitglieder bisweilen zu leiden, wahrscheinlich ist sie auch der Grund dafür, dass die Fans seit vier Jahren auf ein neues Album der Strokes warten müssen. Die Arbeiten daran, wird immer wieder kolportiert, seien in vollem Gange. Doch nun, mitten in eine der längsten Vorfreudephasen der vergangenen 20Jahre, platzt Platzhirsch Casablancas mit einem völlig eigenen Werk. Eigen, weil er es alleine eingespielt hat. Und nicht zuletzt eigen, weil es einen Bruch mit dem bisherigen Gitarrenminimalismus seiner Strokes markiert.

Wahrscheinlich hat Casablancas so lange mit einem Solo-Projekt auf sich warten lassen, weil er es eigentlich nicht nötig hatte. Die Strokes waren ja genau genommen schon eine One-Man-Show. Fünfköpfig, sicher! Und es ist auch nicht so, dass es Albert Hammond Jr. oder Fab Moretti an Charisma fehlen würde. Trotzdem kaprizierte sich die gesamte Aufmerksamkeit der geneigten Musikliebhaber auf die Rampensau in der Bühnenmitte, die auch musikalisch von Album zu Album immer mehr den Ton angab.

"Reptilia", der aggressive Aufschrei vom zweiten Longplayer "Room On Fire", war ein Vorgeschmack auf Casablancas hervorbrechenden Weltschmerz. Auf dem Nachfolger "First Impressions Of Earth" klang dann schon flächendeckend alles nach seiner postpubertären Sinnsuche. Mitreißend für Zuhörer, enervierend allerdings für Weggefährten, die sich schon aus Highschool-Zeiten kennen und seit dem Durchbruch im Jahre 2001 durch Tourreisen und PR-Aktionen so gut wie jeden Tag aneinandergekettet waren. Die Pause war bitter nötig.

Casablancas hat sie, laut eigener Aussage, dazu genutzt, seinen Lebensstil radikal zu ändern. "Als ich mit dem Trinken aufgehört habe, hatte ich erstmal einen zweijährigen Durchhänger", räumt er im Gespräch mit dem britischen "Observer" ein.

"Jetzt fühlt es sich endlich an, als wäre alles da, wo es hingehört. Meine Vergangenheit hingegen war ein Zufallsprodukt." Das nicht erst mit dem Ruhm begann. Das gesellschaftliche Picheln hatte Casablancas, Sohn einer Miss Dänemark und des Gründers der Modelagentur Elite, bereits in frühen Teeangerjahren auf dekadenten Upper-East-Side-Partys in New York gelernt. Es war für ihn Alltag. Als er dann auch noch plötzlich zum Rockstar und damit einhergehend zum Sexsymbol avancierte, ergab ein Glas das andere.

Die nüchternen Momente wiederum waren bestimmt von der Sinnfrage, was sich nun auch auf seinem Solo-Debut widerspiegelt. Dessen Titel, "Phrazes For The Young" (Hohle Ratschläge für die Jugend), stammt nicht von ungefähr und geisterte Casablancas bereits zu aktiven Strokes-Zeiten durch die vernebelten Sinne. Ein Buch von Oscar Wilde, "Phrases and Philosophies for the Use of the Young", hatte ihn darauf gebracht. Damals sagte er bereits im Interview mit dem "Musikexpress": "Ich wünschte, ich könnte all das, was ich sagen will, auch so clever und in so kurzen Sätzen zusammenfassen."

Nun, es ist nicht unbedingt Oscar-Wilde-Niveau, auf dem Casablancas mit seinem Pop-Hedonisten-Dasein früherer Tage abrechnet. Es ist textlich allerdings geradeheraus und schnörkellos, was sich in exakten Gegensatz zur Musik setzt. Alle acht Songs entspringen unterschiedlichen Genres, protzen mit kompositorischer Selbstvergessenheit und instrumentalem Brimborium. Die Emanzipation vom Ich ist ihm geglückt.

Und jetzt Marsch zurück ins Glied! Die Strokes warten bereits.