Pop: Westernhagen - Mensch Marius, es geht doch!

Mit „Williamsburg“ veröffentlicht der 60-jährige Westernhagen Freitag ein überraschend gelungenes Album.

Düsseldorf. Damit war nicht zu rechnen: Marius Müller-Westernhagen veröffentlicht sein 18. Album - und das ist auch noch richtig gut. "Williamsburg" heißt es und steht ab Freitag in den Plattenläden. Schnörkelloser Rock, gefühlige Balladen, gradliniger Rhythm’n’Blues - so stimmig war Westernhagen in diesem Jahrzehnt noch nicht.

Westernhagen war bei Beckmann. Und im Radio hat er auch schon über seine neue Platte doziert. Das klingt - mit Verlaub gesagt - oftmals blasiert, stets etwas arrogant, immer etwas gekünstelt. Er habe ein Studio gesucht, "das nach Musik riecht, nicht nach Plattenindustrie aussieht", sagt er in einem Interview.

Hört sich toll an: Der 60-Jährige, der die wahren Werte in der Musik sucht, abseits des großen Business. Nur, irgendwie nimmt man es ihm nicht ab.

Nach seiner finalen Stadion-Tour Ende der 90er Jahre war die Stimmung gegen den Düsseldorfer Jungen gekippt - und sollte sich so schnell nicht mehr erholen. Zwar spielte er nach dem letzten, arg faden Album "Nahaufnahme" eine wirklich schöne Tour, aber die Herzen flogen ihm nicht mehr zu.

Ende 2008 feierte er in den großen Arenen des Landes seinen 60. Geburtstag mit Wunschkonzerten - eine Versöhnung mit den Fans und eigener Vergangenheit à la "Der Junge mit dem weißen Pferd" oder "Mit 18". Ja, Westernhagen war wieder die echte Rampensau!

"Williamsburg" könnte eine Folge davon sein. Vielleicht verständlich, dass er für die neue Platte eine Aufnahmestätte weit weg von Deutschland suchte. In New York, eine Stadt, die für ihn "immer noch die aufregendste der Welt ist", findet er die Anonymität, die er schätzt - und im trendigen Brooklyn-Viertel Williamsburg das Studio, das für die rechte Stimmung bürgte.

Sein Produzent vermittelte renommierte Musiker aus den USA. Der Ort, das Team, neue Impulse, alte Energie: In der Summe eine Mischung, die Westernhagen gut getan hat. Er schafft eine Balance aus Blues und Soul, die rockt und die zupackt.

Sicherlich das poplastigste der insgesamt zwölf Stücke wurde die erste Single: "Zu lang allein". Dabei ist dieser Song alles andere als typisch für die ganze Platte.

Denn eigentlich kehrt er zu seinen musikalischen Wurzeln zurück, und die sind amerikanischer Natur. Der Opener "Hey Hey", dessen erste Takte an das Stones-Intro von "Not fade away" erinnern, ist ein kecker Weckruf. Song Nummer zwei, "Schinderhannes", hat alle Zutaten für einen Westernhagen-Klassiker, das ist Marius pur.

Bluesig-rockig die Grundstimmung und der "Sänger einer Band", wie er sich personifiziert, presst wie zu besten Zeiten die Textzeilen heraus: "Meine Braut heißt Lilli, das Luder ist kälter als der Tod". Direkt, kernig.

Die Musiker treiben Westernhagen an. "Typisch Du" ist eine schnörkellose Up-Tempo-Nummer, die durch ihre Instrumentierung gewinnt - mit einer herrlichen Akkordeon-Passage. "Komm schon" ist durch ein tickendes Schlagzeug und eine quietschender Hammond-Orgel geprägt - dazu ein etwas leiernd-lakonischer Gesang. Nein, langweilig ist "Williamsburg" keinesfalls.

Mit "Liebeswahn" gelingt ihm eine kitschfreie, karge Ballade, was für den Abschluss des Albums nicht gilt: "An die Mutter" ist eine Piano-Ode an "Mutter Erde", die nur so trieft. "Wir sind alle deine Kinder" - aber sicher... Mensch Marius, das musste nicht sein. Was soll’s. "Williamsburg" ist, auch trotz einiger textlicher Peinlichkeiten, gut. Und MMW ist so gut wie schon lange nicht mehr.