Retter der deutschen Popmusik
Ex-Blumfeld-Sänger Distelmeyer legt Solo-Debüt „Heavy“ vor.
Düsseldorf. Es gibt Menschen, die Jochen Distelmeyer für einen Spinner halten. Eine Meinung, die gar nicht mal so abwegig ist. Als Distelmeyer noch Sänger und Texter von Blumfeld war, der Lieblingsband diskutierfreudiger Literaturwissenschafts-Studenten, kam er nun einmal auf allerhand sonderbare Ideen.
Für das punkige Album "L’Etat Et Moi" (1994) mogelte er Zitate von Denkern wie Adorno und Alexander Kluge in seine Verse - in der deutschen Popmusik eine bis dato unerhörte Bildungshuberei. Auf der gleichen Platte proklamierte er im Song "Von der Unmöglichkeit, Nein zu sagen, ohne sich umzubringen" einen Idealismus, dessen Radikalität schockierend war.
Wenige Jahre später, im Jahr 1999, wurde ihm das Image des Avantgardisten zuviel. Auf dem Album "Old Nobody" feierte er eine Wiedergeburt als Erzromantiker, der für Balladen wie "Tausend Tränen Tief" den Schlagerpop der Münchner Freiheit aufgriff.
Für das letzte Blumfeld-Album "Verbotene Früchte" (2006) packte er schließlich die Wanderklampfe aus und sang in Liedern wie "Der Apfelmann" Wald- und Wiesenlyrik mit den musikalischen Mitteln eines Reinhard Mey. Dann lösten sich Blumfeld auf - und man kam nicht an dem Resümee vorbei, dass es keine andere Band in Deutschland gab, die so mutig, so vielseitig war.
Jetzt veröffentlicht Jochen Distelmeyer, der Kopf und Seele dieser Band war, sein Solo-Debüt "Heavy" (Columbia/ Sony). Auf dem Cover bläst er ein rosafarbenes Kaugummi auf, und das darf symbolisch folgendermaßen gedeutet werden: Dieses Album enthält Pop mit Knalleffekten.
Distelmeyer will demonstrieren, dass deutsche Popmusik entgegen aller Vorurteile gefühlvoll und zugleich intelligent, tiefsinnig und zugleich leichtfüßig sein kann. Er strebt das angelsächsische Modell an, das Bands wie Prefab Sprout, die Pet Shop Boys oder Travis perfektioniert haben.
In Songs wie "Bleiben oder gehen" oder "Nur mit dir", beschaulich dahin fließenden Midtempo-Balladen, singt er von der Sehnsucht nach dem Glück - so unverblümt und direkt, dass man meint, Distelmeyer habe vor den Aufnahmen ein Wahrheitsserum getrunken. Die Geradlinigkeit spiegelt sich auch in der Produktion wider.
Die Arrangements sind kompakt und schnörkellos, verzichten auf Ornamente wie Gitarrensoli oder atmosphärische Intros. Das verleiht besonders rocklastigen Protestsongs wie "Wohin mit dem Hass" oder "Hinter der Musik" eine zeitgemäße Frische.
Natürlich bedeutet "Heavy" die endgültige Abkehr von der unberechenbaren Attitüde vergangener Tage. Die Platte enthält Gitarrenpop, der auf den deutschen Mainstream schielt. Im Fall von Jochen Distelmeyer kann das ausnahmsweise auch einmal Gutes bedeuten.