Heimatsuche in der Fremde
Der Brite Charlie Winston kanalisiert seine Liebe zur Musik zu einem mitreißenden Stil-Potpourri. Ton angebend dabei: der Blues.
Düsseldorf. Das Gefühl, einfach nur unterwegs zu sein, auf der Durchreise, ohne ein festes Ziel vor Augen und befreit vom Wunsch, eine Heimstatt zu finden, ist in der Post-Ära des Wirtschaftswundernutznießertums aus der Mode gekommen. Deswegen klingen Begriffe wie Tagelöhner oder Landstreicher auch ein bisschen wie aus einer längst vergangenen Zeit, nicht mehr ganz wahrhaftig, sondern eher sphärisch verschwommen und märchenhaft.
Und wie immer, wenn eine Krise eine Gesellschaft am Schopf packt und unsanft aus ihrer sicher geglaubten Sozialexistenz wie aus einem adrett gepflegten Sandkasten stößt, besinnen sich viele der Gebeutelten auf dieses raue, unabhängige Leben auf der Straße, das bis in die 1940er-Jahre hinein nicht nur Normalität, sondern für viele Dienstleistungsbranchen sogar eine verlässliche Personalressource war.
Vielleicht erleben wir ja als Konsequenz der momentan schwelenden Krise eine Renaissance: Tausende umherwandernde Hochqualifizierte, gelangweilt von ihrem einstigen Krawattenjob, auf der Suche nach dem Sinn und nach sich selbst und nach der nächsten Scheune.
Nein, es soll hier kein leicht schiefes Bild einer ocker leuchtenden Sozialromantik 2.0 gezeichnet werden. Es ist aber offensichtlich, dass der Vagabund zumindest in der Popmusik dieser Tage zum Wiedergänger wird.
Zwar entspricht er dann nicht unbedingt unserem leicht verklärten Bild vom klassischen Streuner (zerbeulte Arbeiterhosen, Dreitagebart, Grashalm zischen den Lippen), sondern er kommt auch gerne mal als sonnenanbetender Surfprofi (Jack Johnson) oder gleich als vierköpfiges Wanderprediger-Konglomerat (Kings of Leon) daher. Gemein ist allerdings allen die Rückbesinnung aufs Wesentliche: die Melodie, das Instrument und das Gefühl.
Charlie Winston, der neueste unter den lustigen Straßenmusikanten, versprüht nicht nur den Geist der bewusst gewählten Heimatlosigkeit, er singt auch darüber, nicht genau zu wissen, wohin er gehört und was zu tun ist, um in dieser Welt seinen Platz zu finden. Mit "Like A Hobo" traf der 30-jährige Brite zu Beginn des Jahres den Nerv - nein, nicht seiner Heimat, wie man vermuten möchte, sondern den der Franzosen, was belegt, dass Vagabunde nur in der Fremde zu Propheten werden können.
Weil Winston das dazugehörige Album größtenteils in Frankreich in einem befreundeten Studio seines Haus-Labels, Peter Gabriels Real World, aufgenommen hatte, absolvierte er mit besagtem Song den ersten Live-Auftritt im französischen Fernsehen - und stand zwei Monate später an der Spitze der dortigen Charts.
Langsam aber sicher schwappt der unwiderstehliche Ohrwurm mit dem melancholischen Pfiff, der lakonischen Melodie und dem mitreißenden Skiffle-Rhythmus auch in die Nachbarländer herüber. Die Schweiz ist bereits infiziert, auch Belgien fühlt sich kollektiv heimatlos und in Deutschland lässt die hohe Platzierung des Songs in den Download-Charts vermuten, dass der Titel auch in den offiziellen Top 100 in oberste Regionen vorstoßen wird.
Vorausgegangenen war dieser Blitzkarriere eine wahre Odyssee: Winston war schon als Kind eher der Typ, der eine Sache erst richtig können wollte, bevor er andere damit behelligt. Erst lernte er Schlagzeug, dann Klavier, und mit 17 schrieb er sich in London an der Brunel-Hochschule für Musik ein.
Hier frönte er seiner Liebe zum Jazz, seiner Faszination für instrumentalen Minimalismus, merkte dabei aber auch, dass die akademische Verkopftheit wenig Gefühl zulässt. Aber genau darauf kam es ihm an: ein Gefühl für die Musik zu erhalten. Also verdingte er sich als Drummer in der Band seines Bruders, dem Folkmusiker Tom Baxter.
Auf das, was er heute verkörpert, die jovial lächelnde Rampensau im Epizentrum seiner Blueskapelle, den Oxymorons, deutete das damalige Leben im abgedunkelten Bühnenhintergrund nicht hin.
Lediglich seine Heimat Großbritannien bleibt ihm bislang verschlossen. Den "Hobo" - was nichts anderes als ein Slangbegriff für Landstreicher ist - wollen sie nicht. Noch nicht. Denn spätestens das dazugehörige Album wird die Briten eines Besseren belehren. Es bietet wunderbar ausgetüftelte Melodien, mal als Chanson, dann als Soul und letztlich auch mal als Folk verkleidet. Damit wird Winston auch zu Hause punkten. Im Mutterland des Pop wissen sie gute Musik einfach zu sehr zu schätzen.