Popstar, Poet, Politiker: Gilberto Gil wird 70
Berlin (dpa) - Irgendwann war das „Girl From Ipanema“ ausgesungen und auch der Bossa Nova reichte nicht mehr: Mitte der 60er Jahre begehrten junge Brasilianer gegen jene Musik auf, die wie Fußball und Karneval für das Bild ihres Landes stand.
Zu den Rebellen gehörte Gilberto Gil, Sohn eines Arztes aus dem Nordost-Bundesstaat Bahia. Damals begann der Aufstieg von Gilberto Gil zu den wichtigsten Künstlern Brasiliens. Der Popstar, Poet und Politiker mit Rasta-Look wird an diesem Dienstag 70 Jahre alt. Ans Aufhören denkt er nicht. Im Juli geht er wieder auf Europa-Tournee.
In der Schule hatte Gilberto Gil das Gitarren- und Akkordeonspiel gelernt, mit 18 hatte er einen Namen in der Musikszene von Bahias Hauptstadt Salvador. Den Bossa Nova kannte er von Platten und aus dem Radio. Er habe schon damals Musikstar und sogar Staatspräsident sein wollen, erzählte er später.
Für Gil und seine Freunde war die Zeit reif für den Wechsel. Zu sehr stand der Bossa Nova für das süße Strandleben von Rio de Janeiros Oberschicht und hatte mit der Realität des kargen afrobrasilianischen Nordostens kaum etwas gemeinsam. Die jungen Musiker waren mit den wilden Akkordeon-Klängen der Forró-Musik groß geworden, ihr Vorbild war der Volkssänger Luiz Gonzaga. „Er sang über die Welt, die ihn umgab“, schrieb Gil später. In den USA und Europa feierten Beatles, Rolling Stones und Bob Dylan ihre ersten Erfolge. All diese Einflüsse vermissten die jungen Wilden im coolen Bossa-Nova-Sound.
Mit dem Gitarristen und Sänger Caetano Veloso entstand eine künstlerische Freundschaft, die Brasiliens Musik revolutionierte: Der „Tropicalismo“, eine Mischung aus Rock und Folklore aus dem brasilianischen Hinterland, stellte die Traditionen auf den Kopf. Bald kamen weitere Künstler dazu, etwa die Sängerinnen Maria Bethania, Gal Costa und Elis Regina, mit der Gil sein erstes Album „Louvacao“ veröffentlichte. Mehr als 50 Platten und CDs hat er seitdem aufgenommen.
Der Militärputsch 1964 veränderte die Lage dramatisch. Die jungen Musiker protestierten in ihren Songs zwar noch verschlüsselt gegen die Machthaber. Mit dem Album „Tropicalia“ entstand 1968 das Musikmanifest der Epoche - vorbei an der Zensur. „Es war Ausdruck einer Zeit, in der sich Brasilien in Riesenschritten modernisierte und auch die Welt vor politischen, sozialen und wirtschaftlichen Umbrüchen stand“, beschrieb Gil später die Stimmung jener Jahre. Wenige Monate nach der Veröffentlichung wurde er verhaftet und ins Exil nach London abgeschoben.
Nach der Rückkehr 1972 setzte Gilberto Gil die Suche nach den afrobrasilianischen Wurzeln seines Landes fort. Er trat mit Musikern wie Fela Kuti und Stevie Wonder auf, ging mit Jimmy Cliff auf Tournee, verehrte Bob Marley und landete mit einer Version von „No Woman, No Cry“ einen Riesenerfolg.
In den 80er Jahren engagierte er sich verstärkt in der Politik, zunächst in Salvador da Bahia und dann für den linken Politiker Luiz Inácio Lula da Silva. Als Präsident ernannte Lula Gil dann zum Kulturminister. Der Künstler als Politiker setzte sich vor allem für die Pflege des Kulturerbes und freien Zugang zu Internet und digitalen Medien ein.
2008 kündigte er seinen Rücktritt an, er wolle wieder mehr Musik machen, sagte er. Eine Rolle spielte wohl auch die zunehmende Skepsis über seine Amtsführung. Er habe private Interessen und politische Aufgaben nicht mehr getrennt, schrieben Brasiliens Zeitungen zum Abschied.