Punkrock-Gipfel in Berlin: Tote Hosen vs. Ärzte

Berlin (dpa) - 1982 fängt alles an. In West-Berlin formiert sich ein Trio, das mit Hits wie „Teenagerliebe“ und „Westerland“ begeistert. In einem Keller in Bremen geben Musiker aus Düsseldorf ihr erstes Konzert.

Die Ärzte aus Berlin und Die Toten Hosen aus Düsseldorf entwickeln sich parallel zu den erfolgreichsten deutschen Punkrock-Bands - Zoff untereinander inklusive. Mittlerweile ist ihr Verhältnis recht entspannt. Nun konnten mehr als 100 000 Fans binnen eines Wochenendes sowohl die fünf Düsseldorfer als auch die drei Berliner erleben - auf dem ehemaligen Flughafen Tempelhof in Berlin. Ein Vergleich der einstigen Rivalen: DIE PROTAGONISTEN

„Wir Hosen haben uns immer als Kollektiv gesehen. Die Ärzte sind drei Individuen, die sich hoch konzentriert zum Arbeiten treffen“, sagte Campino (51), eigentlich Andreas Frege, in der „B.Z.“. Aber Kollektiv hin oder her - auf der Bühne ist der Sänger der „Hosen“ die Rampensau. Nur er macht Ansagen.

Bei den Ärzten darf jeder mal im Rampenlicht stehen; Bela B. (50/eigentlich Dirk Felsenheimer), Farin Urlaub (49/eigentlich Jan Vetter) und Rod González (45). So werfen sich auch am Samstagabend vor allem Farin und Bela B. die verbalen Bälle zu. Mal hat der eine Oberhand, dann wieder der andere. DAS DURCHHALTEVERMÖGEN

Fünf Stunden lang rockten Die Toten Hosen 1996 auf einem eigenen Wagen beim Rosenmontagszug in Düsseldorf. 62 Konzerte geben sie auf ihrer aktuellen „Der Krach der Republik“-Tour. In Berlin stehen sie reichlich zwei Stunden auf der Bühne; mit kleinen Unterbrechungen. Bewunderung heimst Campino ein: Trotz seiner 51 Jahre hüpft er wie ein junges Reh über die Bühne, ist ständig in Bewegung.

Die Ärzte kommen bei ihren Konzerten regelmäßig auf drei Stunden - auf dem Tempelhofer Feld macht sich daher leichter Unmut breit, als die Berliner bei ihrem Heimspiel nach 1 Stunde und 40 Minuten erstmals von der Bühne gehen. Doch dann folgt ein Feuerwerk an Zugaben - unter anderem „Westerland“ - und die Fans sind versöhnt. So überflügelt die Band die Hosen und rockt zweieinhalb Stunden. DIE SEXYNESS

Er wirkt mindestens zehn Jahre jünger. Er trägt eine schwarze Jeans und ein schlichtes graues Langarm-Shirt. Auch als sein Oberkörper nach einer Stunde entblößt ist, ist kein Gramm Fett zu sehen. Campino hat auch nach drei Jahrzehnten Punkrock noch einen Traum-Körper - und bewegt sich mit der Leichtigkeit eines Teenies.

Bei den Ärzten ist in puncto Sexyness Bela B. vorn - während der Rest der Band im obligatorischen Schwarz und bis oben geschlossen ist, lässt er etwas nackte Brust sehen. Eher gemächlich bewegt sich Farin Urlaub mal ein wenig rechts oder links auf der Bühne. Der Zuneigung der Fans tut es keinen Abbruch: Einige rote Herz-Luftballons fliegen vor der Bühne in den nachtdunklen Himmel. DER HUMOR

„Manchmal könnten die "Hosen" irgendwie lustiger sein“, sagte Bela B. vor zehn Jahren in einem Interview. Bei den Ansagen des Sängers aus Düsseldorf steht in Tempelhof nicht der Humor im Vordergrund, sondern das Wohlergehen der Fans - und der Fußball. Er spricht mehrmals über Fortuna Düsseldorf - und über eine Begegnung mit Uli Hoeneß einst auf der Toilette des Flughafens Tempelhof.

Die Ärzte berlinern immer wieder munter drauf los („Is det schön hier“), frotzeln sich an und kokettieren mit ihrem Alter. „Wir sind alt, aber wir haben noch Kraft in den Knochen“, ruft Bela B. unter begeistertem Applaus. Aber nicht jeder Witz an dem Abend kommt an. DIE FANS

Ob bei den Düsseldorfern oder den Berlinern: Für Konzerte beider Bands sind die vergleichsweise günstigen Tickets oft weg wie nix. Jeder der insgesamt drei Punkrock-Abende in Berlin kostete 39 Euro. Bei den „Hosen“ war dabei der Punker mit eindrucksvollem Irokesen ebenso zu sehen wie der Neunjährige mit Ohrstöpseln und Mama.

Wenige Minuten vor den ersten Takten der Ärzte sitzt ein Paar jenseits der 50 noch auf seiner Picknickdecke, während Jannis (11) es kaum abwarten kann. „Hardcore-Fan“ sei er - und weil sein Bruder die Hosen liebt, war er am Freitagabend auch schon auf dem Rollfeld. DER KONKURRENZKAMPF

Einst gab es diverse Streitigkeiten und sogar eine kleine Prügelei unter den Bands. „Wir sind uns inzwischen sehr grün. Es gibt keine Ressentiments oder Konkurrenzgefühle“, sagte Campino vor einem Jahr. Der Wettstreit sah 2012 so aus: Der „Ballast der Republik“ von Campino & Co. schaffte es auf Anhieb an die Spitze der deutschen Album-Charts - und löste damit „auch“ von den Ärzten ab, das drei Wochen oben stand.

In Tempelhof sagt Campino: „Wisst Ihr, was das Gute ist, wenn man zu einem Toten-Hosen-Konzert geht? Man kann das Beste von morgen und übermorgen schon heute hören!“ Dann singt er „Schrei nach Liebe“ von den Ärzten - und die Fans zeigen sich textsicher. Die Berliner Band stichelt am Samstag: „An Abenden wie diesen fragt man sich: Warum kann's nicht immer so sein?“ - eine Anspielung auf einen Hosen-Song. Zum Abschluss verkünden Die Ärzte, wer nach ihrer Ansicht Sieger des Punkgipfels in der Hauptstadt ist: „Das war die beste Band der Welt bei der Arbeit - zuhause.“