Rise Against: In ihren Songs stecken giftige Gefühle

Rise-Against-Frontmann Tim McIlrath, konsequenter Veganer, Tierschützer und Menschenrechtsaktivist, spricht über die Arbeit am neuen Album „The Black Market“.

Foto: Andre Badenhorst

Düsseldorf. Das, was der Ruhm mit einer Punkband wie Rise Against macht, ist nicht das, was er mit anderen Punkbands macht. Die stellen sich nämlich ab einem gewissen Punkt entgegen aller Szene-Ehre die Frage: „Wie können wir noch mehr Geld verdienen?“ Bei Rise Against liegt der Fall anders. Auch sie füllen die großen Hallen. Weltweit. Auch sie verkaufen ihre Tonträger. Millionenfach. Trotzdem geht es ihnen nicht vor allem um Ruhm, sondern um Glaubwürdigkeit. Es geht darum, auch im schönen Scheinwerferlicht der Punk zu bleiben, der im Abfall der Gesellschaft wühlt.

Wenn Frontmann Tim McIlrath von Chicago aus zum Interview anruft, dann kann er minutenlang ins Philosophieren über dieses Thema kommen. Und, mal ehrlich: Wann wäre das einer Band wie Green Day je passiert? „Wenn wir Songs schreiben“, sagt McIlrath, „dann wollen wir wissen: Wie wirken wir auf die Menschen? Und vor allem: Wie relevant und authentisch sind wir noch?“ Das war auch beim Schreiben der Songs zum neuen Album „The Black Market“ so.

Um diesen extremen Hang zur Selbstreflexion zu verstehen, muss man Rise Against als das sehen, was sie seit ihrer Gründung 1999 sind: eine durch und durch politische Band. Eine, die keine Songs über Liebe und Sex und Biertrinken schreibt. Sondern eine, die Umweltverschmutzung, die Übel des Kapitalismus und menschenverachtende Ideologien geißelt. Verpackt in rasend schnelle und hinreißend schöne Melodien. So wurden Tim McIlrath, Joe Principe (Bass), Brandon Barnes (Schlagzeug) und Zach Blear (Gitarre) zur erfolgreichsten Punkband nach Green Day und The Offspring. Diese ehemaligen Teenie- und Junkie-Combos schreiben heute Rockopern, singen in Stadien über die Highschool-Späße der Mittelklasse-Kids und nennen ein Album auch schon mal „Dookie“, Misthaufen.

Rise Against dagegen gaben schon ihren Alben vor „The Black Market“ dramatische Namen wie „Siren Song of The Counter Culture“, „Revolutions Per Minute“ — oder zuletzt „Endgame“, Endspiel. Für Management und Plattenfirma war dieses „Endgame“ (2011) der internationale Durchbruch. Ein Mega-Seller mit Sternchen und Dollarzeichen obendrauf. Für die Band war es nicht weniger als der Blick auf die Welt nach der Apokalypse.

„In unseren Songs stecken viele giftige Gefühle“, sagt McIlrath. Um sie zu schreiben, müsse er sich stets aufs Neue in eine düstere Stimmung versetzen. So würden Rise-Against-Platten eben zu einem „Black Market“, zu einem schwarzen Markt der Emotionen. Die Arbeit an der neuen Platte sei dabei so hart gewesen wie nie zuvor.

„Gerade nach der letzten Tour und diesem unglaublichen Erfolg mussten wir uns erst einmal erden“, sagt McIlrath. „Ich meine: Wir haben einst als ein Haufen Jungspunde angefangen, die im Keller auf Instrumente eindroschen. Und auf einmal sind wir eine Band, die die Bühne mit den eigenen Idolen teilt.“ Da müsse man doch schauen, ob man noch den eigenen Ansprüchen gerecht werde. Anders gesagt: Hören die Massen, die zu Rise Against strömen, überhaupt noch darauf, was McIlrath als konsequenter Veganer, Tierschützer und Menschenrechtsaktivist von der Bühne herunter singt? Oder kommen sie nur wegen der tollen Melodien?

Daran kann eine Band durchaus zerbrechen. Rise Against nicht. Sie haben entschieden, auch weiter ihre Meinung kund zu tun: Auf „The Black Market“ gibt McIlrath den „Eco-Terrorist“, der Amok läuft gegen die Industrie und diejenigen, die hartnäckig und gierig an Machtposten kleben. Er sieht „The Great Die-Off“ — das große Aussterben. Und er schreit: „I Don’t Want To Be Here Anymore.“

McIlrath sitzt in Chicago und lacht. „Wir sind wohl die einzige Band, die sich selber liebend gerne arbeitslos spielen würde“, sagt er. „Es würde mich jedenfalls glücklich machen, wenn wir irgendwann ein Album voller Lovesongs aufnehmen könnten. Denn das würde bedeuten: Es gibt nichts anderes mehr, über das ich singen müsste.“ Die Welt wäre eine rundum schöne und harmonische. Wäre. Sie ist es aber nicht. Also agieren Rise Against weiter auf dem schwarzen Markt der Gefühle — wenn’s sein muss auch in Arenen. Bis das Endspiel gewonnen ist.