Serge Gainsbourg starb vor 20 Jahren
Paris (dpa) - Am Tag seiner Beerdigung auf dem Pariser Friedhof Montparnasse lag fast der gesamte Verkehr still. Denn mit Serge Gainsbourg war nicht nur ein Sänger und und Texter einiger der erfolgreichsten französischen Chansons gestorben, sondern das wohl berühmteste Enfant terrible der Nation.
Gainsbourg war ein Bohemièn, der die Republik mit manchen gesellschaftlichen Tabubrüchen schockierte, und ein Idol für die Jugend seiner Zeit. Er schuf sich ein Alter Ego, das er zu Lebzeiten Gainsbarre nannte. Doch wer war Gainsbourg wirklich?
„Da Serge nicht so war, wie er sein wollte, suchte er seine Bestätigung durch den Skandal“, sagte seine langjährige Muse und Lebensgefährtin Jane Birkin. Zusammen mit Birkin sang Gainsbourg einige seiner größten Erfolge wie zum Beispiel „Je t'aime... moi non plus“ im Jahr 1969. Das Lied, in dem das Paar mehr stöhnt als singt, verkaufte sich über eine Million Mal und machte Birkin zum Sexsymbol einer ganzen Generation - gegen ihren Willen, wie die damals 22-Jährige später in einem Interview gestand. Sie mochte das Lied nicht, wie sie sagte und wäre lieber Krankenschwester geworden. „Ich war eine Puppe. Serge hat mich so inszeniert“, sagte die Sängerin.
Und Gainsbourg? Der Künstler wurde unter den Namen Lucien Ginsburg als Sohn russisch-jüdischer Immigranten geboren, die 1921 aus Russland nach Frankreich gekommen waren. Gainsbourg bezeichnete sich selbst als „traurigen und strengen Jungen“, der von seinen Mitschülern in der Grundschulzeit wegen seiner Schüchternheit auch Ginette genannt wurde.
Mit zehn Jahren interessierte er sich für die schönen Künste, sieben Jahre später schrieb er sich in die Akademie Montmartre ein. Doch reichte das Talent nicht aus, um sich als Maler zu behaupten. Völlig frustriert zerstörte er seine Werke. Dann griff er zur Gitarre und tingelte durch die Pariser Bars - lange ohne Erfolg. Erst die Begegnung mit der Sängerin Michèle Arnaud brachte eine Wende in sein Leben und verschaffte ihm den Durchbruch - wenn auch erst recht spät als 30-Jähriger.
Auf dem Höhepunkt seiner Karriere reagierte Gainsbourg, der mit „Histoire de Melody Nelson“, „La Javanaise“ und den Alben „Confidentiel“ und „Percussions“ große internationale Erfolge feierte, mit Provokationen und Zynismus auf die Wunden, die ihm das Leben schon früh zugefügt hatte. Es gab Dinge, die er nie vergaß: Dass er den gelben Judenstern tragen musste, wegen Undiszipliniertheit vom Gymnasium flog, seine Bilder vernichtete und sich Frankreichs Presse zu Beginn seiner Karriere über seinen seltsam geformten Zinken und seine Segelohren lustig machte, hat ihm besonders zu schaffen gemacht.
Und so schuf er ab Ende der 1970er Jahre sein Alter Ego Gainsbarre, den Kettenraucher, Kampftrinker, Frauenheld, den er in seinem Lied „Ecce Homo“ (1981) beschreibt. Gainsbarre war der Gegenpart des zeitlebens von Selbstzweifeln geprägten Gainsbourg. Doch Gainsbarre ergriff immer mehr Besitz von Gainsbourg.
Gainsbarre war es, der vor laufender Kamera einen 500-Francs- Schein verbrannte, um gegen die Konsumgesellschaft zu protestieren, Frankreichs Nationalhymne, die Marseillaise, in ein Anti-Kriegslied verwandelte, 1984 die junge Whitney Houston in einer Talkshow mit sexuellen Anzüglichkeiten belästigte und in dem Video zu „Lemon Incest“ halb nackt mit seiner damals 14-jährigen Tochter Charlotte auftrat.
Er arbeitete wie ein Besessener und komponierte für Brigitte Bardot, Juliette Greco und Petulia Clark mehrere Erfolgschansons. Er experimentierte mit Rhythmen, Jazz und Frauen. Mit Brigitte Bardot sorgte er für kurze Zeit als „das Paar“ für Schlagzeilen, doch die Frau seines Lebens, an deren Seite er lange Zeit monogam lebte, war Birkin.
Bis kurz vor seinem Tod am 2. März 1991 machte er Witze über seinen starken Alkohol- und Zigarettenkonsum: „In Alkohol legt man Früchte ein, und Fleisch wird geräuchert.“ Gainsbourg blieb Gainsbarre bis ans Ende.