Sido über Negativschlagzeilen und Kinderfragen
Berlin (dpa) - Die Wut ist weg, Sido (32) rappt jetzt als zufriedener Familienvater. Im Interview der Nachrichtenagentur dpa zu seinem neuen Album „30-11-80“ spricht der Berliner über seine Kindheit als Sohn einer Sinti, bohrende Fragen seines eigenen Nachwuchs und warum 80 Prozent der Journalisten für ihn „einfach Dreckspack“ sind.
Im August war sein erster gemeinsamer Sohn mit TV-Moderatorin Charlotte Engelhardt, die nach der Heirat den Nachnamen von Paul Würdig angenommen hatte, zur Welt gekommen.
Frage: Sie thematisieren in Ihrem neuen Album mehrfach Ihren Reifeprozess. Ist es eigentlich einfacher, ohne Wut über Glück zu rappen?
Antwort: Ohne Wut über Glück zu schreiben, ist natürlich immer einfacher. Aber ich finde wütend zu sein trotzdem legitim, wenn man wütend ist. Es muss nur authentisch sein. Ich war wütend, frech und rebellisch. Das bin ich aber nicht mehr. Ich schreibe immer, wie ich gerade bin und mich persönlich ausdrücke.
Frage: Wenn man die neuen Texte hört, scheint es Ihnen sehr gut zu gehen.
Antwort: Ich fühle mich sehr wohl. Wenn ich so stressige Tage wie in den letzten Wochen habe, eher nicht. Aber wenn ich zu Hause bin mit meiner Frau und meinem Kind und die Zeit genießen kann, fühle ich mich sehr wohl.
Frage: Wie schwer fällt es, weg von zu Hause zu sein, wenn der Kleine auf einen wartet?
Antwort: Mir fällt es sehr schwer. Zum Glück gibt es Handys und Whatsapp, so dass man trotzdem bei seiner Familie sein kann, auch wenn man gerade nicht da ist. Whatsapp ist mein Hauptkommunikationsmittel geworden.
Frage: Sie haben auf „Ein Teil von mir“ 2007 thematisiert, dass Sie Ihren ersten Sohn nicht aufwachsen sehen. Wie ist das Gefühl, wenn es jetzt anders ist?
Antwort: Darüber mache ich mir sehr häufig einen Kopf. Meinen ersten Sohn konnte ich nicht so richtig begleiten beim Älterwerden - den ersten Zahn, den ersten Schritt habe ich nicht mitbekommen. Wenn dein Kind dich das erste Mal erkennt, dir in die Augen guckt und lacht, das ist natürlich sehr schön. Das hole ich jetzt alles nach.
Frage: Wer wechselt die Windeln bei Ihnen zu Hause?
Antwort: Wir beide, ich wechsele sehr gerne die Windeln, weil das so ein intensiver Moment mit meinem Sohn ist. Ich finde das schön, ich würde das nicht missen wollen.
Frage: Wann hat Ihr Sohn das erste Mal gesagt: „Papa, was machst Du da“, wie ein Song des neuen Albums heißt?
Antwort: Das sagt er öfter, aber das erste Mal war, als ich mit irgendeiner Scheiße in der Zeitung stand und mir angeblich Knast angedroht wurde, was natürlich immer übertrieben ist. Ich hoffe, dass der Song genau das transportiert: Es hat mich komplett beschämt. Ich schäme mich nicht, wenn ein Richter mir sagt, dass etwas Scheiße war. Sondern ich schäme mich vor meiner Familie, vor meinen Kindern. Ich möchte nicht das Gefühl vermitteln, dass so etwas ok ist, sondern gehe damit offensiv um und sage: Papa ist ein Idiot.
Frage: Gegen Sie läuft eine Anklage wegen gefährlicher Körperverletzung.
Antwort: Da kann ich nicht drüber sprechen.
Frage: Auf dem neuen Album erklären Sie, dass Sie generell mit diesen Sachen abschließen. Ist das ein Ziel, ein Versprechen?
Antwort: Ja, es ist ein Versprechen und ich meine es wirklich ernst. Und um doch eine Sache zu sagen: Ich war das nicht. Alle Vorwürfe, die es gibt, sind haltlos. Es gibt Leute, die komische Ideen haben, an Geld zu kommen.
Frage: Sie bezeichnen Journalisten auf dem neuen Album als Dreckspack...
Antwort: Ich schere nicht alle über einen Kamm, aber 80 Prozent sind einfach Dreckspack. Es gibt diese Symbiose zwischen dem Künstler und dem Journalisten. Der Journalist braucht den Künstler und der Künstler den Journalist, das ist ein 50:50-Ding. Viele Journalisten sehen das Verhältnis aber bei 80:20 und damit habe ich ein Riesenproblem. Ich hasse Paparazzi-Fotos, und das passiert mir leider sehr oft, sogar bis nach Los Angeles. Es gibt Bilder von mir und meiner schwangeren Frau in LA. Ich werde da einfach nicht in Ruhe gelassen, ich ärgere mich über diese Einmischung. Da verschaffe ich mir dann in meinen Songs Luft.
Frage: Sie thematisieren im Song „Enrico“ das Leben eines Sinti. Was war da die Intention?
Antwort: Ich bin ja selber auch Sinti. Dieser Enrico ist wie ich aus einer Hochhausgegend und kann gut Gitarre spielen. Er weiß, das wird ihn irgendwann aus der Scheiße herausholen. Ein bisschen ist das auch meine Geschichte, aber auch Sozialkritik. Ich will den Leuten sagen: Guckt, so etwas gibt es, wir dürfen diese Leute nicht vergessen. Wenn wir wollen, dass sie sich integrieren, müssen wir ihnen auch entgegenkommen und die Türen aufmachen.
Frage: Ihre Mutter ist Sintiza, wie hat Sie das geprägt?
Antwort: Im Osten war es sehr hart. Meine Mutter hat so viele Sprüche bekommen, als ich klein war. Es war komplett offener Rassismus, meine Mutter wurde als Negerschwein bezeichnet. Da wurde mir klar: Ok, wir sind anders. Als man älter wurde, gab es diese Klausprüche, man wurde in eine Schublade gesteckt. Im Westen sind wir in eine Gegend mit hohem Ausländeranteil gezogen, wo es nicht mehr so auffiel. Wir sind auch eine andere Kultur und haben uns so gut es ging angepasst. In Deutsch hatte ich zum Beispiel immer meine beste Note. Da habe ich aber gemerkt, dass man verlangt, dass man etwas tut, aber es kommt einem niemand entgegen.
Frage: Hat Sie das wütend gemacht?
Antwort: Für mich ist so etwas immer Antrieb. Ich war in Mathe nicht der Hellste, es gab Aufgaben, mit denen ich nicht so klargekommen bin. Ich habe so lange darüber gesessen, bis ich es verstanden habe, wollte mir aber auch von keinem helfen lassen. Ich war sehr, sehr wütend und habe manchmal vor meinem Matheblatt geheult. Aber das hat mich angetrieben.
Frage: Sie haben mal gesagt, dass bei Sinti der Mann das klare Oberhaupt der Familie ist. Wie äußert sich das heute?
Antwort: Bei uns ist es schon ziemlich geteilt, aber ich übernehme schon die Männersachen, die Beschützerrolle. Es ist nicht so, dass ich nicht auch in der Küche stehe. Früher haben die Männer bei uns in der Familie nur auf der Couch gesessen, da ist unsere Familie heute schon emanzipierter.
Frage: Sie haben einen Film mit Joachim Fuchsberger gedreht, der nach eigener Aussage zunächst vollkommen dagegen war, mit Ihnen zu arbeiten. Später hat er jedoch von Ihrer Höflichkeit geschwärmt. Erleben Sie häufiger noch solche Vorbehalte in der Medienbranche?
Antwort: Das erlebe ich öfter, dass Leute noch voreingenommen sind, weil sie nur die Schlagzeilen kennen. Ich kann mir vorstellen, dass es bei Herrn Fuchsberger auch so war. Ich bin zu jedem Einzelnen hingegangen und habe mich vorgestellt - das scheint ihn dann offenbar überrascht zu haben. Aber das überrascht mich auch nicht. Eine große Ehre war es auch, Dieter Hallervorden zu treffen.
Frage: Ähnlich wie bei Helge Schneider, den Sie auf dem Song „Arbeit“ featuren?
Antwort: Das war aufregend für mich, eine Riesennummer. Ich wollte schon immer einen Song mit ihm machen, hätte mich aber nie getraut zu fragen. Nach der Aufzeichnung von Circus Halligalli habe ich mich getraut, ihn zu fragen. Inzwischen telefonieren wir manchmal einfach so, es ist schon eine Art Freundschaft entstanden. Wir können auch mal zehn Minuten quatschen und kein ernstes Wort reden.
Frage: Sie tragen auf „Maskerade“ erstmals seit Jahren wieder Ihre Maske. Was war die Idee dahinter?
Antwort: Ich wollte ein Lied machen mit Cro, Genetikk und Marsimoto, weil das die Rapper mit Masken sind, die ich für legitim halte, bei denen ich das cool finde. Bei ihnen glaube ich nicht, dass ich kopiert werde, das ist Schwachsinn. Der Blick bei der alten Maske war ein bisschen melancholisch, die neue ist ein bisschen moderner. Es gibt eine Strophe von Cro, aber seine Plattenfirma wollte nicht, das er im Video ist, deshalb ist er nicht mehr auf dem Song.
Frage: Vor vier Jahren haben Sie gesagt, dass man nicht erwarten kann, dass Sie mit 35 noch rappen. Steht das noch?
Antwort: Es war mal 40, dann bin ich auf 35 gegangen. Es könnte sein, dass das noch steht, aber ich habe die Hoffnung, dass die Leute mitwachsen. Hip-Hop wird mit mir erwachsen. Ich hoffe, dass ich mit 35 noch ein Album machen kann, das nicht mehr das rebellische Ich-haue-auf-den-Putz-Album ist, sondern ein Album, das etwas bewegt.