Slime: Wiedergekommen, um zu bleiben
18 Jahre liegt das letzte Album von Slime bereits zurück. Trotzdem — oder vielleicht auch gerade deswegen — ist die deutsche Punk-Band zurzeit wieder in aller Munde. Ein Gespräch.
Düsseldorf. Slime prägten die Punk-Szene in Deutschland wie kaum eine andere Band: 1979 in Hamburg gegründet, löste sich die Formation zweimal auf. Seit 2010 stehen sie wieder gemeinsam auf der Bühne. Mit Konzerten in besetzten Häusern war die Band der Polizei jahrelang ein Dorn im Auge.
Mit dem Album „Schweineherbst“ (1994) setzte sie einen Maßstab fürs Punk-Genre sowie ein Statement gegen den damals wieder aufkeimenden Rechtsradikalismus. Gestern erschien — nach 18 Jahren — der Nachfolger „Sich fügen heißt lügen“. Sänger Dirk „Dicken“ Jora spricht im Interview über neue Fans und den Stellenwert von Punk.
Herr Jora, derzeit wollen Musikmagazine aller Sparten sowie große Tageszeitungen mit Ihnen Interviews führen. Wie ist das, als ehemals Geächteter so gefragt zu sein?
Dirk Jora: Das fühlt sich gut an! Wir bekommen endlich den Respekt, der uns zusteht. Wir haben im Laufe unserer Karriere schließlich eine Entwicklung hingelegt, auf die man stolz sein kann.
Eine Entwicklung von frühen Songs wie „Bullenschweine“ hin zum textlich sehr anspruchsvollen Album „Schweineherbst“?
Jora: Genau. Wir bereuen zwar nichts, und jeder Song steht für eine bestimmte Zeit. Aber als wir uns nach „Schweineherbst“ zum zweiten Mal auflösten, haben wir — glaube ich — eine wirklich große Lücke hinterlassen.
Ihr neues Album enthält keine eigenen, sondern ausschließlich Texte des 1934 im KZ ermordeten Anarchisten Erich Mühsam. Warum?
Jora: Die Texte sind genial und immer noch — leider, leider — aktuell. Da muss man sich nur einen Satz wie „Wenn die Banker über Leichen gehen“ anschauen. Das System ist nach wie vor dasselbe: Die Herrschenden schlagen immer noch zu.
Aber wie kamen Sie auf jemanden, der seit 78 Jahren tot ist?
Jora: Wir haben Mühsam immer schon im Kopf gehabt. Seine Texte spiegeln unsere Einstellung wider. Ich rezitiere auch nicht, wie Campino das mit Brecht getan hat. Ich sehe sie quasi als eigene Texte, die von mir stammen könnten.
Wann wussten Sie, dass Sie auch nach 33 Jahren noch nicht fertig sind mit der Musik?
Jora: Das wussten wir nach unserer Reunion-Tour. Natürlich waren das Konzerte wie Klassentreffen, zu denen viele alte Fans kamen, die nach langer Zeit nochmal die Lederjacke aus dem Schrank gekramt und mit erhobener Faust mitgesungen haben. Aber in den ersten Reihen standen eben auch viele Kids, die hinterher zu uns gesagt haben: Leute, ihr löst euch jetzt bitte nicht auf. Wir haben euch gerade entdeckt und haben solche Texte noch nicht gehört! Ihr tut der Musiklandschaft hierzulande gut!
Inwiefern tun Slime der deutschen Musik gut?
Jora: Ich will hier nicht despektierlich über andere Künstler reden. Aber wir sind mit unseren politischen und gesellschaftlichen Statements unter diesen ganzen Revolverhelden, Mias und Xavier Naidoos eben Musiker, die noch etwas zu sagen haben.
Slime gelten als Flaggschiffe des Punk, aber: Wo steht Punk heute überhaupt?
Jora: Punk hat sich von außen, vom Outfit her, ins Innere verlagert. Punk bist du heute nicht mehr auf dem Kopf, sondern im Kopf.
Ist Punk noch relevant?
Jora: Für mich ist er das, auch wenn er nicht mehr den gesellschaftlichen Stellenwert wie in den 1980ern besitzt, wo er noch eine große Bewegung war. Punk ist heute eine Bewegung unter vielen.
Manch einer wirft Ihnen Verrat an Ihren Idealen vor, weil Sie Eintritt für Konzerte nehmen und erfolgreich Platten verkaufen. Was entgegnen Sie diesen Leuten?
Jora: Ich lasse mich auf solche Diskussionen nicht mehr ein. Wissen Sie: Es ist eine Arbeit, in die wir viel Zeit und Geld stecken. Wir spielen trotzdem aus Überzeugung zwei bis drei Solidaritätskonzerte ohne Gage im Jahr und versuchen, den Eintritt zu Konzerten so niedrig wie möglich zu halten. Derzeit sind es 17 Euro. Wem das noch zu teuer ist, der soll wegbleiben.