Sting: Ich folge nur noch meiner Neugier

Leipzig (dpa) - Musik-Star Sting (62) hat eine jahrelange Schreibblockade mit einem Bühnenstück über Werftarbeiter gebrochen.

Vor seinem Gastauftritt bei „Wetten, dass..?“ sprach Sting mit der Nachrichtenagentur dpa darüber, wie ihn bei „The Last Ship“ seine Kindheitserlebnisse erlösten, und warum er mit 62 Jahren nicht ans Aufhören denken kann, aber auch keinen Wert auf Radio-Hits mehr legt.

Frage: Sting, nach einer jahrelangen Schreibblockade hat erst die Idee für ein Musical über Werftarbeiter Sie wieder dazu gebracht, neue Songs zu komponieren. Wie kam es dazu?

Antwort: Ich mag das Wort Musical nicht. Ich sehe „The Last Ship“ lieber als Theaterstück mit Liedern. Das mag Haarspalterei sein, aber für mich ist es wichtig. Und das Thema reicht tief zurück: Ich habe den Großteil meiner Kindheit im Schatten einer großen Werft gelebt.

Frage: Woran erinnern Sie sich?

Antwort: Es war eine sehr surreale Welt, was mir damals kaum bewusst war. Die meiste Zeit des Jahres türmte sich ein riesiger Schiffsrumpf über uns, so dass wir monatelang keine Sonne sahen. Und wenn ein solch riesiges Schiff zu Wasser gelassen wird, ist das für ein Kind ein furchteinflößendes Erlebnis, das man nie vergisst.

Frage: Als Sie dort aufwuchsen, wollten Sie vor allem raus. Schlug das Gefühl inzwischen in Nostalgie um?

Antwort: Die Schiffstaufen wurden zu einem Symbol für mein Leben: Man zieht davon und kommt nie wieder zurück. Ich fragte mich oft, ob ich als Werftarbeiter enden würde. Ich wollte das nicht - es war ein erschreckender, gefährlicher Ort. Also tat ich alles, um meinem Heimatort zu entfliehen. Und als mir das gelungen war, kehrte ich irgendwann in meiner Erinnerung immer wieder dorthin zurück. Was für eine Ironie: Man wendet erst viel Kraft auf, um etwas zu verlassen. Und dann noch mehr Energie, um dorthin in Gedanken zurückzufinden.

Frage: Waren Sie mal wieder dort, in Wallsend?

Antwort: Zuletzt vor ungefähr einem Jahr. Dort, wo die Werft war, ist jetzt nur noch ein großes Loch. Unsere Straße wurde abgerissen. Direkt unter unserem Haus entdeckten sie ein römisches Militärlager, da sind jetzt Archäologen am Werk. Eine lustige Wendung irgendwie...

Frage: Sie sagten einmal, sie tragen die Schuld eines Überlebenden in sich. Gab das auch den Ausschlag für „The Last Ship“?

Antwort: Niemand hätte diese Werft retten können, das wäre gegen alle ökonomischen Gesetze. Aber ich stellte mir ein anderes Ende vor, in dem die Arbeiter noch ein letztes Schiff bauen, um damit selbst davonzufahren. Es ist ein Traum. Aber es geht hier auch darum, dass sich die wirtschaftlichen Interessen und Theorien viel zu oft gegen das Wohl der Gesellschaft durchsetzen, immer eigentlich. Doch ohne die vielen kleinen Gemeinden gäbe es keine Wirtschaft, sie sind das Fundament dafür - und nicht etwas, was dem Fortschritt im Wege steht.

Frage: Sie schrieben also erst jahrelang keine Lieder - und dann ganz viele auf einmal?

Antwort: Sobald sich der Knoten gelöst hatte, schossen die Songs nur so aus mir heraus, als würde ich sie in hohem Bogen auskotzen. Das war ein interessantes Erlebnis. Sie steckten ganz offensichtlich die ganze Zeit schon in mir drin. Der Trick war, dass ich beschloss, diesmal nicht über mich zu schreiben, sondern über andere Leute. Natürlich endet es damit, dass man dabei trotzdem seine eigenen Gefühle und Gedanken verarbeitet - aber es hat für mich funktioniert.

Frage: Haben Sie daran gedacht, sich ganz zur Ruhe zu setzen, als in den vergangenen Jahren der Strom neuer Songs versiegte?

Antwort: Nicht wirklich. Ich bin Sänger und Musiker und ich werde damit weitermachen bis ich nicht mehr kann. Das ist nicht etwas, wo man in einem bestimmten Alter in Rente geht.

Frage: Werden wir aber irgendwann wieder ein Rock-Album von Ihnen hören?

Antwort: Ich werde die Musik machen, zu der mich meine Neugier treibt. Und nicht die, die heute in Mode ist oder strategisch clever wäre. Was Rock-Musik angeht: Rock 'n' Roll, das waren Buddy Holly oder Gene Vincent. Ich denke, dass ich die Tradition heute noch irgendwie fortsetze. Aber wie definiert man heutzutage noch, was Rock ist?

Frage: Sagen wir anders: wie steht es mit Musik, die wieder ein Radio-Hit werden kann?

Antwort: Das ist nichts, was mich interessiert.

Frage: Sie erwähnten einmal, Ihr Vater habe oft von Deutschland geschwärmt?

Antwort: Er war nach dem Krieg irgendwo bei Köln stationiert. Er scheint hier die beste Zeit seines Lebens gehabt zu haben: viele Freundinnen, viel Bier. Ich habe Fotos von ihm in Uniform gesehen, er sieht auf ihnen glücklich aus - was später nicht so oft vorkam.